Genug Stunden nach dem Abpfiff am Millerntor sind vergangen, um aller Panikmache und vorschneller Schlüsse unverdächtig zu sein: Der VfL hat äußerst unnötig 1:2 gegen einen direkten Konkurrenten und drei wichtige Punkte im Abstiegskampf verloren, steht jetzt auf Platz 14 - und damit noch immer drei Punkte vom Abgrund entfernt. Osnabrück braucht höchstens noch vier Siege und spielt dafür in den nächsten Wochen gegen Kaiserslautern, Koblenz, Jena und Offenbach. Das ist erst einmal das Wichtigste.
Pele Wollitz hatte nach 90 Minuten Dauerregen und spannendem Fußball eine "phantastische Leistung" von Nico Frommer gesehen, eine "unglaublich sichere und stabile Abwehrkette", und er befand, "wir stehen wieder auf, wir sind noch nicht abgestiegen, und meine Mannschaft wird auch nicht absteigen!" Das mit dem Nicht-Absteigen, immerhin das stimmt wahrscheinlich.
Vor der wie immer tollen Millerntor-Kulisse spielte Osnabrück nur in den ersten 20 Minuten so wie ein Verlierer. Thomas Cichon und Jan Schanda schwächelten mehrfach in der Innenverteidigung, Matthias Heidrich (etwas) und Frederik Gößling ( viel) teilten sich die Schuld beim Gegentor, und St. Pauli schaltete schneller und attackierte bissiger. Mehrmals übte sich dieVfL- Offensive - Paul Thomik und Thommy Reichenberger auf rechts zum Beispiel - in Pressing, doch Marcel Schuon dahinter spielte nicht mit, was dem Gegner immer wieder gefährliches Überzahlspiel bescherte.
Nach 20 Minuten wendete sich das Blatt. Mehr und mehr dominierte Osnabrück, zeigte sein zuletzt oft vermisstes schnelles Kurzpassspiel. Heidrich überzeugte mit viel Übersicht vor der Abwehr, die Außenverteidiger Schuon und - einmal mehr - Andreas Schäfer ließen nichts anbrennen und kurbelten das Flügelspiel an, und besonders über die rechte Thomik-Seite entstand immer wieder Gefahr. Schon am Ende dieser ersten Halbzeit hätten erst Reichenberger, dann im Nachschuss Frommer das 1:1 machen können, auch Heidrich mit seinem matthäuseskem Solo (in memoriam Italia '90) hätte einen Treffer verdient gehabt. Mit anderen Worten: Osnabrück war spielbestimmend.
Außerdem in Erinnerung bleiben von diesen ersten 45 Minuten erstens eine ganze Reihe katastrophal ausgeführter Standardsituationen; manchmal scheint es, als müsse der Gegner nur irgendwo irgendeinen Lila-Weißen foulen, um selbst wieder in Ballbesitz zu kommen, denn in der Regel landet der Ball nach einem Osnabrücker Freistoß, und sei er in noch so aussichtsreicher Position, immer zügig beim Gegner. Zweitens die Schiedsrichter-Schelte des Hamburger Publikums; in keinem anderen Stadion reicht eine noch so unbedeutende, strittige Entscheidung aus, um den Schiedsrichter fortan bei jedem Pfiff gegen St. Pauli gnadenlos auszupfeifen. Dass sich selbst nach dem Schlusspfiff und besiegeltem 2:1-Sieg ein Gutteil der Emotionen auf dem Schiri entlud, auch das ist einmalig. (Übrigens: Als junger Mann wollte ich immer Schiedsrichter werden, weil es ungeheuer geil sein muss, von zehntausenden Menschen ausgepfiffen, ja, gehasst zu werden; das Millerntor taugte wunderbar dafür.)
Das 1:1 schoss Schuon nach toller Vorarbeit von Thomik mit dem Außenrist. Danach trat irgendwer im Team die Kupplung und legte den Vorwärtsgang aus. Die erneute Führung für St. Pauli fiel im direkten Gegenzug - fast jedenfalls. Gößling schoss von nunan eine Reihe von Böcken, die völlig unerklärlich sind und die ihm in dieser Vielzahl in einem Spiel wohl lang nicht mehr passiert sein dürften. Vielleicht hätten Reichenberger oder Thomik ihm Sicherheit zurück geben können, hätten sie wenigstens eine der beiden hochkarätigen VfL-Chancen in dieser 2. Häfte im Tor versenkt. "Hätte Osnabrück aus diesen Chancen ein Tor gemacht", sagte auch St. Pauli-Coach André Trulsen, "dann weiß ich nicht, ob wir noch einmal zurückgekommen wären." Stattdessen flimmerte ab der 80. Spielminute ein 2:1 auf der neuen, elektronischen Anzeigetafel - Cichon hatte die Nase voll von dem ewigen Selbstmitleid der Hamburger und schenkte ihnen den ersten Rückrundensieg. Das spielerisch bessere Team war St. Pauli auch da noch nicht - aber das engagiertere allemal.
Pele Wollitz blieb demonstrativ ruhig. "Sowas kann passieren, das ist bitter, aber so ist Fußball", gab er zu Protokoll und lag damit völlig richtig. So wie die Niederlage gegen Augsburg muss auch dieses 1:2 nicht unbedingt Anlass zur Sorge geben, denn der VfL hat phasenweise fein gespielt. Der Einsatz der Mannschaft und die Einstellung haben gestimmt, allein es passieren, wie schon im vergangenen Frühjahr, in verlässlicher Regel individuelle Fehler, die folgenschwere Gegentreffer zeitigen. In der vergangenen Saison hätte das beinahe den Aufstieg gekostet, aktuell steht noch mehr auf dem Spiel. Es hat also nichts mit Panikmache zu tun, jetzt zu fragen: Hat die Mannschaft bessere Nerven als vergangene Saison? Sie wird sie nämlich brauchen, das nächste Mal im - wieder eminent wichtigen - Heimspiel gegen Kaiserslautern, und Pele Wollitz hat noch eine Woche Zeit, sie zu stählen. Ganz in Ruhe. Hilfreich wären in jedem Fall eine phantastische Leistung von Nico Frommer und eine unglaublich sichere und stabile Abwehrkette.
Freitag, 21. März 2008
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