Donnerstag, 20. März 2008

seitenwechsel #54

Schon montags können wir ihn kaum erwarten, den wöchentlichen Seitenwechsel mit den lieben Kollegen von Seitenwahl. Seit der vergangenen Saison schreiben wir uns gewöhnlich mittwochs, manchmal auch donnerstags Brand-, Schmäh- oder Liebesbriefe - mit noch immer wachsender Leidenschaft. Diese Woche startet Martin einen seiner gefürchteten Rundumschläge - auf Seitenwahl. Mike, der arme Junge, antwortet - und hat nicht einmal Geld, um sich Sex zu kaufen.

Lieber Martin,

mit großer Freude las ich Deine Zeilen. Mir scheint, dass Dich zurzeit vieles beschäftigt und es ehrt mich, dass Du Deine Gedanken mit mir teilen möchtest. Gleichwohl, so sind diese Gedanken sehr wirr mitunter, gar zusammenhanglos. Oder doch nicht? Ich will und werde versuchen, Antworten auf Deine Fragen zu geben. Es kann nur ein Versuch werden, so umfassend sind die Dinge, die Dich beschäftigen in diesen biblischen Tagen. Maik schreibt nüchterner, sachlicher für gewöhnlich. Er ist nunmal der kühle Journalist, selbst wenn er sich in mehr oder weniger lässigen Posen auf Eurem Blog ablichten lässt (an dieser Stelle: ich bat doch um ein paar Panini-Bilder! Wo bleiben die?). Was wollt Ihr erreichen? Ist dies ein Teil einer großen Aktion "Auch Norddeutsche können sexy sein"? Du siehst, auch mich umtreiben Fragen. Allerdings gibt es auch Fragen, die keine Antwort verlangen. Im Gegensatz zu Deinen, denen ich mich im Folgenden zuwenden möchte.

Fassen wir zusammen: zweimal fragst Du Dich, wer oder was den Fußball bestimmt. Der Zufall, der Fußballgott? Erfinden wir Anhänger dieses großartigen Sports nicht sowas wie den Fußballgott, um dem Zufall, diesen für unseren Menschengeist nicht zu fassenden, chaotischen Zustand, schlicht und einfach einen Namen zu geben? So, wie es vor tausenden Jahren die Menschen taten, als sie die Götter erfanden und ihnen Namen gaben, weil sie das, was sie damals erlebten, nicht fassen konnten? Den Fußball gibt es seit über 100 Jahren, und seither wurden auf der Welt zig Millionen Partien ausgetragen. Kaum ein Sport auf der Welt wurde und wird so seziert, verplant, wissenschaftlich untersucht und diskutiert. Und dennoch: jede Woche, nein, jeden Tag werden auf diesem Globus Spiele ausgetragen und in fast jedem Spiel fallen Tore. Verstünde man dieses Spiel in all seiner Tiefe, so endete jede Begegnung 0:0. Es ist die natürliche Fehlbarkeit des Menschen, die nicht zu greifen ist, für keine Wissenschaft, die den Fußball und die vielen Dinge des Lebens erst menschlich macht.

Wir diskutierten vor einiger Zeit die Freiheit des Willens und die aktuelle Debatte darüber in den Wissenschaften. Die Hirnforschung hat in den vergangenen Jahren einige erstaunliche und faszinierende Ergebnisse geliefert. Gefühle werden lokalisiert, katalogisiert, ja, zu nüchternen bio-chemischen Prozessen degradiert. Es kann dargestellt werden, dass in bestimmten Regionen meines Hirns beim Hören der "Elf vom Niederrhein" eine erhöhte Blutzufuhr stattfindet. Aber wissen Hirnforscher auch, wie es sich anfühlt? Wie ich es fühle? Und vor allem: warum? Und da die Frage nach dem "Warum" wohl für alle Zeit eine rein philosophische bleiben wird und naturwissenschaftlich und medizinisch nie vollends beantwortet werden wird, bleiben uns viele Dinge erhaben und schön erhalten. Die Liebe, ein Cabrio oder der VfL.

Nach diesen philosophischen Gedanken muss ich Dir allerdings ganz trocken mitteilen, dass ich mit Fasten nix am Hut habe. Ich wüsste auch nicht, was ich fasten sollte? Und vor allem: warum? Ich kann Deiner Art des Verzichtens durchaus Sympathie abgewinnen, sehe darin indes keinen tieferen Sinn. Ich trinke kaum bis gar keinen Alkohol, arbeite viel, habe trotzdem (oder gerade deswegen) kaum Geld zur Verfügung und Sex kenne ich inzwischen nur noch vom Hörensagen. Okay, ich rauche, aber darauf will ich einfach nicht verzichten. Oder, um eine gängige Floskel eines üblich Süchtigen zu bemühen: ich könnte sowieso jeden Tag aufhören, wenn ich nur wollte. Diese ganze Geschichte um das Fasten hat für mich eine rein heuchlerische Bedeutung. Einmal pro Jahr geht der Deutsche in die Kirche (Weihnachten) und einmal pro Jahr verzichtet er sechs Wochen auf Schokolade und wäscht damit sein christliches Gewissen rein, das er gar nicht hat. Letztlich ist das Fasten bei den meisten Menschen eine Art "Projekt", das sie aber bedeutungsschwanger verkaufen. Kommen dann mit wichtig klingenden Argumenten, dass man in der Welt des Konsums für einige Zeit innehalten sollte. Großartig, sie verzichten sechs Wochen auf Schokolade und kaufen sich weiter Mode, die von Kindern in der Dritten Welt genäht und hergestellt wird oder verfahren Bio-Diesel, während sie mit ihren Geländewagen im deutschen Großstadtstau stehen. Hagen Rether hat das mal treffend in einen Dialog gepackt: "Du, verdammt, das Erdöl geht langsam aus. Was tanken wir morgen? - Hmmm, lass uns doch mal...äääh...Lebensmittel vertanken! - Oh, super Idee. Aber nicht unsere Lebensmittel, oder? Deren Lebensmittel! - Ja sicher, war ja auch deren Erdöl."
Nee, ich will nicht den klagenden Weltverbesserer mimen. Deswegen esse ich auch weiter Schokolade und rauche, Fastenzeit hin oder her.

Die kleinste Sorge allerdings ist das Restprogramm Borussias. Durchmarsch? Logisch! Borussia wird bis zum 34. Spieltag Tabellenführer bleiben. Vielleicht geht ein Spiel verloren, das mag sein. Aber der Drops ist für die Konkurrenz gelutscht. Ich überlege noch, ob ich mir das Auswärtsspiel Borussias in Köln neben meinem lieb gewonnenen 130kg-Koloss aus der Kölner Südkurve angucken werde. Ob ich das überlebe? Eher weniger. Du siehst, manchmal ist der Zufall dann doch ganz weit weg.

Frohe Nach-Fastenzeit!
Mike

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