Donnerstag, 27. September 2012

teamentwicklung für anfänger

Es hat etwas gedauert, bis wir nach dem HSV-Spiel unsere Nerven wieder von der Zimmerdecke gekratzt haben. Doch nun haben wir sie wiedergefunden und wollen hier mal etwas erklären. Also:

Ja, das war ein Katastrophen-Kick gestern.
Ja, es ist normal, dass Ungeduld aufkommt.
Dass sich viele Fragen stellen:
Müsste man nicht langsam eine Entwicklung ausmachen können? Ergebnisse sehen?
Wie lange kann man noch um Geduld bitten?
Wie kommt es eigentlich, dass als Lucien Favre vor gut 18 Monaten anfing in Gladbach, praktisch von einem Tag auf den anderen alles besser wurde, und nun alles auf einmal so lange dauern soll?
Zur Erinnerung: Damals lag Gladbach am Boden, war praktisch abgestiegen, völlig demoralisiert. Alle Welt hätte damals Geduld gehabt und Verständnis, viele lobten die Weitsicht der Borussia, einen Trainer zu holen, der Gladbach in der zweiten Liga ein Konzept verpassen würde, weil es unmöglich schien, noch das Ruder rumzureißen. Und von heute auf morgen wurde alles anders.

Und jetzt? Ist die Ausgangsposition doch viel besser: eine selbstbewusste Mannschaft, starke Neueinkäufe – jetzt soll alles auf einmal lange dauern? So lange, dass Lucien Favre nicht einmal sagen kann, wie lange genau? Oder zumindest in etwa? In einem Interview danach gefragt, lächelte er sein Schelm-Lächeln und sagte nur: "Ich weiß es nicht. Es wird dauern."

Es ist doch klar, dass da Unmut aufkommt.
Das Problem ist nur: Favre hat recht.

Die Entwicklung von Teams läuft in Phasen, manche sagen auch in Stufen. Es gibt hundert Modelle, wie sich Teams entwickeln. Der eine sagt so, der andere so. Manch einer glaubt, Teams durchlaufen alle die gleichen Etappen in der gleichen Abfolge, andere sehen das anders. Die Details sind dabei auch relativ egal.

Klar ist: Die Entwicklung eines Teams verläuft nicht linear. Man wird nicht jeden Tag ein bißchen besser. Schön wäre es ja: Am ersten Spieltag verliert eine neu zusammengestellte Mannschaft, am zweiten spielt sie dann schon unentschieden, und am dritten gewinnt sie. Aber Entwicklungen verlaufen dynamisch und nicht-linear. Es kann lange Phasen geben, in denen sich nichts verändert, so genannte Phasen der Beharrung ('inertia') und dann – scheinbar von einem Moment auf den anderen – ist ein Entwicklungssprung da.

Manche Theorien gehen davon aus, dass es bestimmte Zeitfenster, kritische Momente für solche Entwicklungen gibt. In einem Projekt liegen diese meist ganz zu Beginn und dann noch einmal zu einem späteren Zeitpunkt, der so genannten "transition". Manche Dinge, die am Anfang nicht funktionieren können, etwa weil man sich noch nicht gut genug kennt, bestimmte Dinge noch nicht verstanden oder gelernt hat, gelingen erst nach einer Phase der transition. Diese Phase wird beispielsweise in einer Studie von Connie Gersick wie folgt beschrieben:

The transition appears to be a unique time in groups' lives. It is the only period when the following three conditions are true at once: members are experienced enough with the work to understand the meaning of contextual requirements and resources, have used up enough of their time that they feel they must get on with the task, and still have enough time left that they can make significant changes (...) [1]
Vieles spricht dafür, dass Favres Ankunft Anfang 2011 ein solche Phase war. Die Mannschaft kannte sich, es war genug Zeit verstrichen, damit allen klar war, dass die Lage nun ernst ist, und es gab zugleich (gerade eben) noch  genug Zeit, um den Klassenerhalt zu erreichen.

Für die neu formierte Mannschaft 2012 gilt dies noch nicht. Den Mannschaftsmitgliedern fehlt die Erfahrung miteinander, und vielleicht fehlt auch das Bewusstsein, dass es nun langsam ernst wird. Dieses Bewusstsein, soviel aber ist sicher, wächst derzeit Woche für Woche. Natürlich gibt es keine Garantie, dass es bald einen Entwicklungssprung gibt. Aber allein die Tatsache, dass momentan kein linearer Fortschritt erkennbar ist, heißt eben schon gar nicht, dass es keine Entwicklung gibt. Wir brauchen also immer noch vor allem eins: Geduld. So schwer das nach einem Kick wie gestern fällt.

[1] Time and Transition in Work Teams: Toward a New Model of Group Development
Connie J. G. Gersick
The Academy of Management Journal , Vol. 31, No. 1 (Mar., 1988), pp. 9-41

Sonntag, 23. September 2012

gladbach gegen bayern

Gladbachfan zu sein, ist kein Zuckerschlecken. Daran hat man sich irgendwann ab den Achtzigern gewöhnen können. Der VfL ist nicht Bayern München, eher gleicht er in seinen strukturellen Möglichkeiten Vereinen wie – ich gebe zu, es tut weh, dies niederzuschreiben – Eintracht Frankfurt oder dem FC Köln. (Damit soll nicht gesagt sein, dass man einem dieser Clubs wirklich ähnlich ist, kaum bestreitbar ist man ihnen aber ähnlicher als dem FC Bayern oder auch dem FC Barcelona.)

Man muss sich Gladbachfans dennoch als glückliche Menschen vorstellen: Wir sind Kummer gewohnt und können uns über Erfolge entsprechend freuen. Ganz anders der Typus Bayernfan: Ein Titel ist da Jahr um Jahr Pflicht, freuen kann man sich eigentlich nur noch über den Sieg der Champions League, alles darunter ist eine Schmach. Was für ein tristes Dasein!

Gladbacher wissen, was es heißt gegen den Abstieg zu kämpfen. Gladbacher wissen, was es heißt, diesen Kampf zu verlieren und abzusteigen. Gladbacher wissen, dass nicht jeder Tag in der Woche ein Sonntag ist und es kein Menschenrecht auf Titel gibt.

Oder besser: sie sollten es wissen.
Oder besser: die meisten wissen es.

Journalisten wissen es sowieso, aber sie schauen lieber auf die wenigen Fans, die es nicht wissen, weil sich daraus die vermeintlich interessanteren Geschichten machen lassen. Und schreiben dann darüber, dass unter "den Fans" Unmut herrsche. Weil eine Handvoll Träumer ihren Frust in Internetforen abgesondert haben, während die allermeisten Fans besseres zu tun hatten.

In dieser Woche konnte man dann aufgeregte Stücke über den "Zocker" Favre lesen. Eine absurde Debatte, wenn man sich die Spielbelastung der Mannschaft in den letzten und in den kommenden Wochen vor Augen führt, beispielsweise allein die weite Reise zur Nationalmannschaft von Arango. Man hat den Eindruck, wann immer Gladbach nicht spielt wie ein Meisterschaftskandidat, läuft etwas grundlegend schief am Niederrhein. Dabei ist das einzige, was momentan in Gladbach wirklich ein Aufreger ist, die absurde Erwartungshaltung weniger sogenannter Fans und die geradezu hanebüchen dumm-dreiste Berichterstattung vieler sogenannter Journalisten darüber.

Auf Zypern hat Gladbach diese Woche einen Punkt geholt, ein Sieg wäre mehr als nur möglich gewesen. Hätte Hanke nicht den Pfosten getroffen, hätte Wendt den Elfmeter verwandelt – Gladbach wäre nun Tabellenführer in seiner Gruppe und alle wären angetan von Favres Weitsicht. In Leverkusen hat Gladbach vorhin den zweiten Punkt der Woche geholt, diesmal konnte man mehr als zufrieden damit sein. So ist Fußball.

Natürlich läuft noch lange nicht alles rund in Gladbach. Aber wer davon überrascht ist, der ist ein Traumtänzer. Haben denn alle, die nun unzufrieden maulen, vergessen, wo dieser Verein herkommt? Wie wir vor 18 Monaten schon sicher mit einem Abstieg gerechnet haben? Welche Spieler wir nach der letzten Saison abgeben mussten?

Mir ist es schleierhaft, wie in der aktuellen Situation im Umfeld des Vereins so viele "bad vibrations" aufkommen können, wie es derzeit der Fall ist. Wer die Fohlenelf derzeit spielen sieht, kann sehr sicher sehen: Mit dem Abstieg hat diese Mannschaft nichts zu tun. Gladbach spielt wie eine Mittelfeldmannschaft und wahrscheinlich IST Gladbach in diesem Jahr eine Mittelfeldmannschaft. Das ist nicht sexy, aber das ist viel wert, gemessen an der Geschichte des Vereins in den letzten 10, 15 Jahren. Darüber könnte man sich freuen, und über jeden Schritt, der weiter nach oben geht, wenn diese Mannschaft sich erst einmal neu formiert hat. Wer mehr will, soll halt Bayernfan werden.

Sonntag, 16. September 2012

total schwierig

Drei Spieltage ist die neue Bundesligasaison nun alt, was zumindest eine halbwegs angemessene Frist ist, um eine erste Beurteilung des Stands der Dinge wagen zu können. Für den VfL waren es drei Spiele, bei denen alles dabei war: Sieg, Unentschieden, Niederlage – leider genau in dieser Reihenfolge. Außerdem gab es die Championsleague-Pleite daheim gegen Kiew und den beeindruckenden Auswärtssieg, der jedoch nicht für ein Weiterkommen reichte.

Welche Schlüsse lassen sich nun aus diesem bisherigen Saisonverlauf ziehen? Nun, sie wird total schwierig. Dieses Mantra gilt in der Ära Favre für jedes Spiel und für jede Saison. Das verhängnisvolle ist allein, dass einige entertainisierte Fans und Medienvertreter es nicht akzeptieren können, dass der Satz "es wird total schwierig" keine Phrase ist, sondern Woche für Woche richtig ist und auch als Saisonbeschreibung Gültigkeit hat.

Vorletzte Saison fast abgestiegen, letzte Saison Platz vier, das macht für diese Saison -- Moment, ich muss kurz rechnen -- mindestens Platz -7! Das heißt, wir landen mathematisch sieben Plätze VOR dem deutschen Meister! Hurrah!

So scheinen einige Fans zu rechnen, und diese völlig hanebüchene Haltung nutzen gerade die Boulevardblätter, um daraus Auflage zu schlagen. "Es wird schwierig" ist vielleicht einmal eine gute Schlagzeile, aber nicht Woche um Woche. Wenn man es aber erst einmal geschafft hat, eine vollkommen unrealistische Messlatte zu etablieren, dann kann man daraus täglich Profit schlagen mit alarmistischen Berichten, dass Gladbach nicht im Soll ist. Ein teurer Einkauf, der in den ersten Spielen keine Tore schießt? Wir zählen die Minuten! Ein junger Spieler der sagt, er möchte gerne Champions League spielen? Wir berichten über einen Konflikt zwischen Spieler und Trainern! Ein Trainer der eingesteht, noch nicht das beste System gefunden zu haben? Wir berichten über eine verfehlte Einkaufspolitik!

Erst jetzt, wo nach der Euphoriewelle der letzten rund 18 Monate wieder so etwas wie Alltag einkehrt, wird richtig deutlich, wie angenehm das Ausbleiben der stupiden und erwartbaren Presseberichterstattung in jener Zeit war. Wieviel bullshit uns erspart geblieben ist. Doch so konnte es wohl nicht immer bleiben.

Nüchtern betrachtet, läuft es in Gladbach derzeit ziemlich genau so, wie man es erwarten durfte: Gladbach ist im DFB-Pokal eine Runde weiter und hat damit eine gar nicht so leichte Aufgabe gut bewältigt. Gladbach spielt Europa League, und damit wohl genau in den Regionen, in denen sie sportlich derzeit realistisch stehen und in denen sie auf das eine oder andere Erfolgserlebnis im Saisonverlauf hoffen können, anstatt sich mehrheitlich lehrreiche, aber doch deprimierende Championsleague-Erfahrungen zu holen. In der Bundesliga hat man besonders gesehen, dass die Mannschaft noch ihr System sucht, aber auch, dass es ihr von Spiel zu Spiel besser gelingt, so etwas wie ein offensives Mannschaftsspiel neu zu etablieren. Dass Nürnbergspiel ist hier in vielerlei Hinsicht bezeichnend, denn es hat die Stärken wie die Unzulänglichkeiten des Teams zum aktuellen Zeitpunkt aufgezeigt: Klar ist, dass die Mannschaft -- anders als beispielsweise die Kollegen aus Hoffenheim -- als Mannschaft intakt und charakterlich stark ist. Sie hat sich beeindruckend nach dem mindestens in dieser Höhe völlig unverdienten 0:2 zurückgekämpft. Sie war in der Lage, gegen gute und kompakte Nürnberger 2 Tore zu erzwingen, und diese erstmals auch durch die sich immer besser integrierenden neuen Spieler. Sie war aber auch -- wie schon in krasser Weise gegen Kiew daheim -- noch nicht eingespielt, abgebrüht und sicher genug, um in entscheidenden Spielphasen clever zu agieren, in der Verteidigung weniger Fehler zu produzieren. Wenn es dann schlecht läuft, verliert man 2:3. Mit etwas Glück wäre ein Sieg denkbar, fair wäre wohl am Ende eine Punkteteilung gewesen. Wenn Gladbach so weiter macht, muss einem -- gemessen an realistischen Erwartungen -- nicht Bange sein: die Mannschaft scheint auf einem guten Weg zu sein.

Sorgen macht uns nur, dass solche nüchternen Betrachtungen zwar keinen Seltenheitswert haben -- sie werden von der Vereinsführung, von Favre, Eberl, Meyer und auch von vielen Fans immer wieder wiederholt --, dass sie aber doch wenig Widerhall finden im Mediengebläse um Borussia. Da werden die Minutenzähler, die Championsleagueforderer, die Einkaufsummenberechner immer wieder wie Fettaugen an die Oberfläche einer Brühe gespült.

Für uns folgt daraus eins: weniger lesen, weniger hören, weniger schauen. Was zählt, ist auf dem Platz und dort werden wir uns weiter unsere Meinung bilden. Und ab sofort wieder regelmäßig auf dem VfLog darüber schreiben.