Ja, das war ein Katastrophen-Kick gestern.
Ja, es ist normal, dass Ungeduld aufkommt.
Dass sich viele Fragen stellen:
Müsste man nicht langsam eine Entwicklung ausmachen können? Ergebnisse sehen?
Wie lange kann man noch um Geduld bitten?
Wie kommt es eigentlich, dass als Lucien Favre vor gut 18 Monaten anfing in Gladbach, praktisch von einem Tag auf den anderen alles besser wurde, und nun alles auf einmal so lange dauern soll?
Zur Erinnerung: Damals lag Gladbach am Boden, war praktisch abgestiegen, völlig demoralisiert. Alle Welt hätte damals Geduld gehabt und Verständnis, viele lobten die Weitsicht der Borussia, einen Trainer zu holen, der Gladbach in der zweiten Liga ein Konzept verpassen würde, weil es unmöglich schien, noch das Ruder rumzureißen. Und von heute auf morgen wurde alles anders.
Und jetzt? Ist die Ausgangsposition doch viel besser: eine selbstbewusste Mannschaft, starke Neueinkäufe – jetzt soll alles auf einmal lange dauern? So lange, dass Lucien Favre nicht einmal sagen kann, wie lange genau? Oder zumindest in etwa? In einem Interview danach gefragt, lächelte er sein Schelm-Lächeln und sagte nur: "Ich weiß es nicht. Es wird dauern."
Es ist doch klar, dass da Unmut aufkommt.
Das Problem ist nur: Favre hat recht.
Die Entwicklung von Teams läuft in Phasen, manche sagen auch in Stufen. Es gibt hundert Modelle, wie sich Teams entwickeln. Der eine sagt so, der andere so. Manch einer glaubt, Teams durchlaufen alle die gleichen Etappen in der gleichen Abfolge, andere sehen das anders. Die Details sind dabei auch relativ egal.
Klar ist: Die Entwicklung eines Teams verläuft nicht linear. Man wird nicht jeden Tag ein bißchen besser. Schön wäre es ja: Am ersten Spieltag verliert eine neu zusammengestellte Mannschaft, am zweiten spielt sie dann schon unentschieden, und am dritten gewinnt sie. Aber Entwicklungen verlaufen dynamisch und nicht-linear. Es kann lange Phasen geben, in denen sich nichts verändert, so genannte Phasen der Beharrung ('inertia') und dann – scheinbar von einem Moment auf den anderen – ist ein Entwicklungssprung da.
Manche Theorien gehen davon aus, dass es bestimmte Zeitfenster, kritische Momente für solche Entwicklungen gibt. In einem Projekt liegen diese meist ganz zu Beginn und dann noch einmal zu einem späteren Zeitpunkt, der so genannten "transition". Manche Dinge, die am Anfang nicht funktionieren können, etwa weil man sich noch nicht gut genug kennt, bestimmte Dinge noch nicht verstanden oder gelernt hat, gelingen erst nach einer Phase der transition. Diese Phase wird beispielsweise in einer Studie von Connie Gersick wie folgt beschrieben:
The transition appears to be a unique time in groups' lives. It is the only period when the following three conditions are true at once: members are experienced enough with the work to understand the meaning of contextual requirements and resources, have used up enough of their time that they feel they must get on with the task, and still have enough time left that they can make significant changes (...) [1]Vieles spricht dafür, dass Favres Ankunft Anfang 2011 ein solche Phase war. Die Mannschaft kannte sich, es war genug Zeit verstrichen, damit allen klar war, dass die Lage nun ernst ist, und es gab zugleich (gerade eben) noch genug Zeit, um den Klassenerhalt zu erreichen.
Für die neu formierte Mannschaft 2012 gilt dies noch nicht. Den Mannschaftsmitgliedern fehlt die Erfahrung miteinander, und vielleicht fehlt auch das Bewusstsein, dass es nun langsam ernst wird. Dieses Bewusstsein, soviel aber ist sicher, wächst derzeit Woche für Woche. Natürlich gibt es keine Garantie, dass es bald einen Entwicklungssprung gibt. Aber allein die Tatsache, dass momentan kein linearer Fortschritt erkennbar ist, heißt eben schon gar nicht, dass es keine Entwicklung gibt. Wir brauchen also immer noch vor allem eins: Geduld. So schwer das nach einem Kick wie gestern fällt.
[1] Time and Transition in Work Teams: Toward a New Model of Group Development
Connie J. G. Gersick
The Academy of Management Journal , Vol. 31, No. 1 (Mar., 1988), pp. 9-41
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