Wer so spielt wie Osnabrück gestern Abend in Mainz, verliert die zweite Halbzeit völlig verdient mit 0:3. „Viereins“, antwortet schließlich ein stolzer Mainz-Fan auf dem Heimweg einem noch ahnungslosen Passanten auf die Frage „Wie hamse gespielt?“, und er erntet, nachdem geklärt ist, „für wen“, ein anerkennendes „Boah!“. Für den VfL heißt das: Einsvier bei Nullfünf und die sechste Auswärtsniederlage in Folge – bei der man dem Gegner in der ersten Halbzeit noch gezeigt hat, wie richtig guter Fußball aussieht. Aber wer mag das schon glauben angesichts dieses Endergebnisses? „Der Gesamteindruck ist verheerend“, befand dann auch Trainer Claus-Dieter Wollitz, „und dafür, dass mir jetzt alle sagen, wie toll wir Fußball spielen, kann ich mir nichts kaufen.“ Insgesamt nichts Neues also. We call it a ‚Klassiker’.
Mainz war stark angefangen und der VfL geriet in den ersten Minuten ordentlich unter Druck. Daniel Gunkel hatte gleich zu Beginn nach einer Mainzer Ecke die Chance zum 1:0, schoss aber knapp vorbei. Bis dahin spielte Osnabrücks Rouwen Hennings noch neben Thommy Reichenberger die zweite klassische Spitze, danach ordnete sich die Mannschaft von Wollitz als 4-1-4-1-Formation neu: Vor der Abwehrkette, in der Uwe Ehlers als rechter Innenverteidiger debütierte, spielte Mathias Surmann im defensiven Mittelfeld, davor eine zweite Viererkette aus Hennings, Mathias Heidrich, Marcel Schuon und Bilal Aziz, einziger Stürmer blieb Reichenberger.
Diese Umstellung zeigte sofort Wirkung. Osnabrück besann sich auf seine Heimstärken: Schnelle und flache Pässe in den Fuß, zweikampfstark, dabei variables Flügelspiel und variantenreiche Kombinationen. Zwar blieb Mainz gerade über die rechte Seite, wo Tim Hoogland und zuerst Miroslav Karhan, später Damit Vrancic, gut mit den beiden Stürmern Felix Borja und Ranislav Jovanovic harmonierten, stets gefährlich, doch das Spiel machte der VfL – die besseren Chancen waren logische Folge: Schuon vergab eine gut und gern Hunderprozentige, und Reichenberger versenkte den Ball nach schönem Schuon-Zuspiel sogar im Mainzer Tor, stand aber knapp im Abseits. Dann fiel das 1:0 für Mainz. We call it…
Anschließend zeigte Gößling mal wieder eine Glanzparade, als sich Andreas Schäfer von Hoogland düpieren ließ, dessen Flanke den Kopf von Jovanovic erreichte – nur fast das 2:0. Nach diesen Schockmomenten war Osnabrück weiter das bessere, klüger spielende Team. Gerade die Mainzer Innenverteidigung war anfällig, sobald der VfL schnell und kurz in die Spitze spielte, und das klappte einige Male ganz gut. Dementsprechend fassungslos war Mainz’ Präsident Harald Strutz nach dem Spiel: Osnabrück hätte nach der ersten Hälfte schon 3:1 führen müssen, ihm sei völlig schleierhaft, wie dieses Endergebnis zustande kam. Es lag daran, dass der VfL nur ein Tor schoss: In der 44. Minute wieder durch einen Kopfball von Reichenberger, Hennings hatte zuvor den Freistoß getreten.
„Das einzige, was nicht stimmt, ist das Ergebnis“, sagte Wollitz seinen Jungs in der Halbzeit. „Da gebe ich Pele 100 Prozent Recht“, entgegnete Jürgen Klopp nach Spielende. Klopps Mannschaft allerdings hatte die zweite Hälfte alles das besser gemacht, was ihnen nach den ersten starken zehn Minuten nicht mehr gelingen wollte, und spielte nun Fußball. Wollitz’ Truppe dagegen stellte das Fußballspielen im zweiten Durchgang über weite Strecken ein. Sofort nach Wiederanpfiff vergab der eingewechselte Wellington millesk die Mainzer Führung; Schäfer hatte zuvor erneut einen Zweikampf verloren, der diese Chance erst möglich machte. Überhaupt verlor der VfL jetzt öfter einfache Bälle und wichtige Zweikämpfe. So ergab sich das erneute Mainzer Führungstor aus einer Situation, als der VfL in Ballbesitz war: Schuon und Aziz passten nicht auf, Thomik musste Wellington passieren lassen, der Borja bediente: Nicht ein schöner Mainzer Angriff, sondern individuelle Osnabrücker Fehler bahnten den Weg zur Niederlage. We call it…
Wollitz wechselte und brachte mit Alexander Nouri (für Schuon) und Nico Frommer (für Hennings) zwei frische Kräfte, die sich leider nur nominell als frisch erwiesen, ihr Kurswert war mehr als mäßig. „Die beiden waren natürlich sauer, dass sie nicht von Anfang an spielen, das kann ich auch verstehen. Aber wenn sie dann kommen, dann müssen sie brennen, Bälle fordern, was kreiieren. Das habe ich alles nicht gesehen“, kritisierte Wollitz seine Einwechselspieler. Dass nach dem 2:1 für Mainz Nouri im zentralen Mittelfeld ‚agierte’, Aziz auf links und Heidrich auf rechts wechselte und dass Wollitz wieder auf ein klassisches 4-4-2 mit den zwei echten Spitzen Reichenberger und Frommer umstellte, verpuffte dementsprechend.
Der VfL brach in dieser Phase einigermaßen zusammen, und Mainz entdeckte im gleichen Zug die Freude am Spiel. (Es war auch der Zeitpunkt, als man sich fragte, wieso das tolle Publikum im Stadion am Bruchweg eines Stadionsprechers bedarf, der als Wochenmarkt-Schreihals sicher eine tolle Nummer wäre. Die Stimmung jedenfalls wäre ohne sein ständiges „Auf geht’s“ und „Jetzt aber“ auch nicht schlechter gewesen.) Wellington, Chadli Amri und Borja vergaben die größten Mainzer Chancen, ehe Heidrich den entscheidenden Zweikampf verlor und Amri das 3:1 schoss. Allein weil es für VfLs in Mainz zum guten Ton gehört, 4:1 zu verlieren, zeigte Schiedsrichter Sippel in der Nachspielzeit noch einmal auf den Punkt, damit Gunkel per Elfmeter den obligaten Endstand herstellen konnte.
Thommy Reichenberger war nach dem Abpfiff völlig ratlos. „Das ist unheimlich bitter, wie wir hier am Ende untergehen. Eine Kopfsache kann das eigentlich nicht sein. Wie sollten wir sonst zu Hause Spiele umdrehen und Siege über die Zeit retten können, wenn das ein Kopfproblem wär?“, fragte er, sich selbst nicht sicher, was jetzt zu tun sei. „Weitermachen, immer weitermachen“, hat Oliver Kahn mal gesagt, und er hat natürlich Recht. Irgendwann wird das Auswärtsspiel kommen, währenddessen der VfL nicht wegen eines individuellen Fehlers in Rückstand gerät und die Mannschaft ihr sehenswertes Fußballspiel über 90 Minuten zeigen kann. Vielleicht würde sogar schon reichen, die sich bietenden Chancen zu nutzen. Bis dahin muss man sich Sorgen machen.
Samstag, 10. November 2007
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