Freitag, 2. November 2007

geißböcke abgeschossen

Spätestens diese Chance hätte das entscheidende dritte Tor sein müssen. Nico Frommer macht relativ viel richtig, nimmt den Steilpass aus dem Mittelfeld gekonnt mit, umkurvt Kölns TorwartFaryd Mondragón - schießt dann jedoch nicht ins Tor, sondern irgendwo anders hin. Anschließend gibt es noch eine Ecke für Köln, die dritte Minute der Nachspielzeit ist längst vorüber, Mondragón macht sich mit auf nach vorn und lässt alle Böses schwanen. Wird, wer vorher offensichtlich Ecken und Einwürfe - und damit: Zeit - schindet, dafür noch bestraft? Wird Frommer zum Depp, weil er der letzte Osnabrücker war, der eine Großchance nicht verwerten konnte, bevor die Kölner den 2:2-Ausgleich schießen?

"Uns hat das Glück und die Genauigkeit gefehlt, obwohl wir in der 2. Halbzeit das Spiel ganz gut gestalten konnten", sagt Kölns Trainer Christoph Daum hinterher. Ab der 9. Minute hat auch Osnabrück das Glück und die Genauigkeit gefehlt, jedenfalls im Abschluss. Viel früher hätte der VfL dieses Spiel gewinnen müssen als erst in der dritten Minute der Nachspielzeit. Gaetano Manno zum Beispiel köpfte in der 27. Minute nach einem tollen Spielzug und einer Flanke von Rouwen Hennings knapp rechts vorbei. Und kurz vor der Halbzeit vergab Paul Thomik, der von Henning Grieneisen in Szene gesetzt wurde, eine gute Chance, die Manno und der klug spielende Thommy Reichenberger eingeleitet hatten. Glücklicherweise stand es zu diesem Zeitpunkt schon 2:0 für Osnabrück. Marcel Schuon hatte eine Mondragón-Faust'abwehr' volley ins linke Eck verwertet und verdankt diesen Treffer sicher auch einer gefährlichen Hennings-Flanke; davon übrigens gab es zahlreiche. Sekunden später war das zweite Tor gefolgt, als Matthias Heidrich - wie so oft - mit großer Spielübersicht einen Angriff auf die rechte Seite verlagerte, Thomik flankte und Reichenberger per Kopf (!) verwandelte.

"Bisher haben die das immer aufgeholt", sinnierte ein Köln-Anhänger neben mir, "vielleicht ist es ganz gut, wenn die mal auf die Fresse kriegen!" Ganz gut war das sicher für den VfL. Der grenzenlose Fatalismus beim FC indes darf für die wachen Augen von Realisten ruhig ein Rätsel bleiben. Wenn sich Kölns starker Stürmer Milivoje Novakovic bei Sport 1 ärgert, "gegen eine Mannschaft von Regionalliga-Rang zu verlieren", darf man der Kölner Selbstverständnis genauso belächeln wie die Pfiffe für Christoph Daum zur Halbzeit. In diesem ersten Durchgang spielte Osnabrück phasenweise großen Fußball: Nahezu alle Pässe flach in den Fuß, kombinationssicher und schnell. "Das war phantastisch. Und wenn du dann das 3:0 machst, ist so ein Spiel normalerweise entschieden." Auch die einzelnen Mannschaftsteile überzeugten. Gößling behielt immer die Übersicht und war besonders bei Flanken sehr sicher. Die Innenverteidiger Cichon und Ndjeng standen extrem sattelfest. Die Paare auf den Außenbahnen - Schäfer mit Hennings und Thomik mit Grieneisen - harmonierten bemerkenswert gut, zumal Thomik irrsinnig viele Kilometer zurücklegte. Vorn wechselten Reichenberger und Manno mehrfach ihre Positionen und sorgten für einige gefährliche Szenen, und Manno hat sich bei seinem Partner offensichtlich abgeguckt, dass man oft auch dann den Ball erobert, wenn man im letzten Moment nicht das Kopfballduell sucht, sondern auf den Abpraller des Gegners wartet.

Ab etwa der 35. Minute kündigte sich jedoch das an, was in der zweiten Hälfte fast zwei Punkte gekostet hätte. Zufriedenheit machte sich breit, Osnabrück zog sich zu weit zurück und spielte zu passiv. Die Kölner wurden nicht mehr schon beim Spielaufbau gestört, sondern erst viel später: Bei den entscheidenden Zweikämpfen 30 Meter vor dem Osnabrücker Tor. Diese Zweikämpfe wurden zwar zunächst immer gewonnen, so dass Köln in der ersten Hälfte zu so gut wie keiner Chance kam, dennoch ist dieses Spiel gefährlich.
Zu Beginn der zweiten Halbzeit hatte der VfL zwar noch zwei gute Chancen: Zuerst setzte Thomik sich auf rechts durch, tunnelte Kölns Ümit Özat und passte auf Reichenberger, der einmal mehr Übersicht bewies und Manno in Schussposition bediente, doch der Ball ging drüber; dann eroberte Heidrich im Mittelfeld den Ball, passte wieder auf Reichenberger, der - während Manno die Kölner Abwehr foppte - schön für Heidrich auflegte, allerdings auch folgenlos. Dann kam Köln.

Novakovic durfte den Ball am Strafraum seelenruhig mit der Brust annehmen und schoss rechts vorbei, Youssef Mohamad verwertete anschließend eine Novakovic-Flanke und zielte haarscharf links vorbei - und der VfL verlor mehr und mehr Zweikämpfe im Mittelfeld und griff zu spät an. Zwar ging dem Anschlusstreffer eine strittige Situation direkt voraus, als Schiedsrichter Perl bei einer Attacke gegen den wieder starken Andreas Schäfer nicht auf Foul erkannte und den Kölnern eine Überzahlgelegenheit ermöglichte, doch hatte sich dieses Tor ohnehin angekündigt. Patrick Helmes schloss einen sehenswerten Kölner Konter souverän zum 2:1 ab. Köln war jetzt endgültig im Spiel angekommen. Zwar hatte auch in der zweiten Hälfte der VfL die besseren Torchancen (Manno nach Thomik-Steilpass, Grieneisen nach Manno-Rückpass, Reichenberger nach Strafraum-Getümmel), doch durch die sehr große Lücke zwischen Defensive und Offensive ermöglichte Osnabrück den Kölnern immer öfter, schnell das VfL-Mittelfeld zu überbrücken und ihrerseits gefährliche Konter zu fahren. Deshalb büßte der VfL einerseits an Souveränität und Spielwitz ein, andererseits zeigte Köln aber auch, dass es ebenfalls stark Fußball spielen und dagegen halten kann.

Schließlich wurde das Osnabrücker Spiel durch drei Wechsel wieder stabiler. Matthias Surmann und Nico Frommer ersetzten die sichtlich erschöpften Hennings und Manno, später erlöste Jo Enochs den ebenfalls kaputt gekämpften Henning Grieneisen. Köln hatte schlussendlich keine andere Wahl mehr, als alles auf eine Karte zu setzen: "Die haben teilweise Harakiri gespielt, mit sechs Mann auf einer Linie. Das müssen wir eigentlich ausnützen, doch da fehlt dann vielleicht ein Spieler wie de Wit, der eben nicht quer spielt, sondern den entscheidenden Pass in die Spitze", haderte Wollitz am Ende ein klein bisschen damit, dass seine Mannschaft es so spannend gemacht hat. Deshalb war es am Ende kein Osnabrücker Stürmer, der den Sieg perfekt machte, sondern Keeper Frederik Gößling. In der 79. Minute parierte Gößling mit einem sensationellen Reflex eine schöne Direktabnahme von Novakovic. Danach hatte man nicht mehr das Gefühl, es könne noch viel anbrennen. Tat es ja auch nicht.

Osnabrück hat nun 25. Ligaspiele in Folge zu Hause nicht verloren und seine Klasse gegen hoch veranlagte Gegner wie Aachen, Freiburg und Köln unter Beweis gestellt, obwohl die Mannschaft von einem Trainer trainiert wird, der "nie ganz pflegeleicht war und doch das ein oder andere Mal aus der Reihe getanzt ist. Hätte man mich vor 20 Jahren gefragt, ob der Claus-Dieter das mal packt, hätte ich ganz klar gesagt: Ne!" Christoph Daum sprach's, grinste, zollte Respekt und lobte die Arbeit seines Ex-Schützlings über den grünen Klee. Wollitz dankte artig - und der Fußballgott wird ganz sicher eine Träne verdrückt haben.

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