Mittwoch, 16. Mai 2007

seitenwechsel #31

Schillernde Juwelen sind rar - deshalb sollte man sie von vielen Seiten beschauen und staunen. Seit 1997 bereits beobachtet Seitenwahl für seine Leser das Gladbacher Geschehen, 2004 gesellte sich der VfLog dazu. Zu Saisonbeginn haben Seitenwahl und VfLog einen Briefwechsel begonnen, um den Blick zu weiten. Diese Woche gibt es ein besonderes Schmankerl. Am Ende einer ausweglosen Saison nämlich haben wir einen Joker eingewechselt: Für die Seitenwahl-Kollegen hat diesmal nicht wie sonst immer Mike, sondern Christoph vorgelegt. Seinen Brief lest Ihr unten. Martins Antwort steht bei Seitenwahl.

Lieber Martin, lieber Maik,

heute schreibt die Vertretung, denn Mike hat sich in den Urlaub verabschiedet. Wer wollte es ihm auch verdenken? Es gibt kaum etwas, was den Borussen derzeit im Land halten würde. Es ist ja nicht der Abstieg an sich – an den Gedanken hat man sich gewöhnt. Es ist die Seelenlosigkeit, mit der er sich vollzieht. Am Samstag präsentierte uns der Gegner, wie man sich eben auch aus der Liga verabschieden kann: als Mannschaft, die es nicht nötig hat, sich den „Ein Team“-Gedanken aufs Hemd zu schreiben, als Mannschaft, die mit Mut und Leidenschaft auftritt und auf die ihre Anhänger noch im Abstieg stolz sein können. Blicken wir zurück: In den Siebzigern sprachen manche von einer Gladbacher „Ästhetik des Scheiterns“: Über die gewonnenen Titel hinaus war es die herzzerreißende Art, in der die Borussen Ziele verfehlten, durch die ein phantastisches Team erst zur Legende wurde. Die Annullierung des 7:1 gegen Mailand fällt in diese Kategorie, aber auch die spielerisch grandiose Niederlage im Europacupfinale gegen Liverpool. Dreißig Jahre später ist die Borussia von solchen Dimensionen Lichtjahre entfernt. Aber selbst den Abstieg könnte man ihr noch verzeihen, wenn, ja wenn nicht ihre täppischen, einfallslosen und blutleeren Offensivversuche das Gegenteil dessen wären, was für diesen Verein identitätsstiftend sein sollte.

Wo die eigene Gegenwart düster und die Zukunft trüb ist, richtet sich die Aufmerksamkeit andernorts. Camus, in seiner Jugend als Torwart aktiv, schrieb einst, er habe alles, was es über Moral und Pflicht zu wissen gebe, beim Fußball gelernt. So weit muss man nicht gehen, aber es stimmt schon, dass man bei diesem Sport manches über sich erfahren kann, auch über wenig präsentable, niedere Instinkte. Am Samstag war es die Schadenfreude, die in Camus’ Sprache eine wahrhaft teuflische („une joie satanique“) ist (Das Englische dagegen hat kein Wort dafür. Sagt das etwas über die Engländer aus?). Als die in Gladbach so ungeliebten Aachener kurz vor Schluss den späten Ausgleich kassierten, löste das einen jener Schreie der Begeisterung aus, zu denen meine Borussia schon lange keinen Anlass mehr gibt. Allein, unmittelbar darauf stellte sich die Erkenntnis ein, dass der Treffer zugleich auch alle Mainzer Hoffnungen zunichte machte. Denen aber und speziell ihrem Trainer hätte ich den Klassenverbleib ehrlich gegönnt. Ach, selbst die Schadenfreude wird einem heute vergällt.

Ich grüße Euch beide, und da oben schon vom Teufel die Rede war, tue ich das mit den Worten des Marloweschen Mephastophilis: „Es ist ein Trost, im Schmerz Leidensgenossen gehabt zu haben.“

Christoph

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