Vor|ent|schei|dung, die; -, -en [mhd. vorentscheidunge]: Die Vorentscheidung ist vielleicht der am häufigsten übersehene oder unbesehen hingenommene Widerspruch der älteren und jüngeren Fußballberichterstattung. Gemeinhin wird von "Vorentscheidung" gesprochen, wenn in der 74. Minute das 2:0 für die ohnehin schon überlegen spielende Mannschaft fällt, weil gleichzeitig in Abrede gestellt wird, das zurückliegende Team könne diesen Rückstand noch aufholen.
Unbenommen, aufgeholt wird dieser Rückstand sicher nicht mehr. Aber: Eine Vorentscheidung mutet doch gleichsam tautologisch wie auch latent widersprüchlich an: Entweder das Spiel ist entschieden – dann kann man sich das Präfix ‚vor’ sparen. Oder aber das Spiel ist noch nicht entschieden – dann liegt auch keine Entscheidung vor, noch nicht mal eine Vorentscheidung. „Die Bayern mit einem Mann mehr, jetzt dieses 4:2. War das die Vorentscheidung?“ – „Nein“, mag man dazwischen rufen, „entweder es war die Entscheidung oder sie war es eben nicht.“
Eine Vorentscheidung ist damit ein typischer Fall halbgaren Reporterpalavers, dessen Bedeutung sich zwar erschließt – man weiß ja in etwa, was gemeint sein soll, nämlich die vermutete frühzeitige Entscheidung des Spiels –, der sich aber eines streng genommen kruden Vokabulars bedient. Eine Vorentscheidung gibt es nicht: Ohne Entscheidung auch kein ‚Vor’, und wenn eine Entscheidung, dann erst recht kein ‚Vor'. Freuen wir uns auf die nächste Reportage, um diese Frage erneut kontrovers zu diskutieren: „Naja, wieso, irgendwie ist das ja schon eine Vorentscheidung, wenn so kurz vor Schluss…“
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Donnerstag, 28. Juli 2005
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6 Kommentare:
Wenn aber doch gewissermaßen "proaktiv" ein "einzigstes" Mal eine Bewertung durch den qualifizierten Sportreporter zu erfolgen hat, dann sind solche Entgleisungen doch geradezu "vorprogrammiert". Also wollen wir hier mal die Sprachpflege nicht zu weit treiben, und uns an allen gesprochen "Wörtern" (wenn nicht gar Worten)"diesen Jahres" hochziehen, oder..?
Dann mache ich mal den Anfang :)
Das 'vor' muss nicht unbedingt wie von Dir suggeriert Eventualbedeutung haben, sondern könnte schlicht auch eine zeitliche Beschreibung der endgültigen Entscheidung als vorzeitig bedeuten. Ich halte dieses Verständnis sogar für das Naheliegendste. Das Präfix enthält dann die zusätzliche Information/Analyse, dass nunmehr eine Ergebniskorrektur nicht mehr zu erwarten ist (unter Außerachtlassung der seltenen Fälle in denen doch einmal noch Außergewöhnliches geschieht) - eine solche Feststellung (dann ohne 'vor') zum Schlusspfiff wäre viel eher eine lächerliche Platitüde.
Jan
Also Jan,
das ist ja so nicht plausibel. :)
Du schreibst: "Das Präfix enthält dann die zusätzliche Information/Analyse, dass nunmehr eine Ergebniskorrektur nicht mehr zu erwarten ist"
Diese Information "enthält" ja eben nicht das Präfix "vor", sondern bereits die in der 72. Minute geäußerte Feststellung "Das war die Entscheidung". Das Präfix "vor" bleibt überflüssig, eben weil es keinerlei weitere Information beisteuert, außer (nach Deiner Deutung) der, das das Spiel noch läuft – was aber, so darf man annehmen, jedem Zuschauer bewußt sein wird. Nach dem Spiel zu rekapitulieren "in der 72. Minute fiel die Vorentscheidung", ist ebenso unsinnig, weil spätestens dann ja eindeutig klar ist, daß es eben die Entscheidung (ohne vor) war. Also: Zu keinem Zeitpunkt bringt das Präfix irgendetwas – außer einen Anlass für diese hübsche Diskussion hier, und dafür sollten wir dankbar sein.
Tor-Stan
Ich find "Vorentscheidung" o.k.
Da "Vor" wohl voraussichtlich meint. Eine Entscheidung ist immer fix. Von ihr kann man nur sprechen wenn etwas feststeht. Dem ist in der 74. Minute nicht so. Also kann man nicht von einer Entscheidung, sondern nur von einer voraussichtlichen Entscheidung, sprechen. Und wenn man das dann Abkürzt, warum nicht?
Muss man denn immer alles so genau nehmen? Ich denke mal der Artikel ist ehr unterhaltend gemeint und nicht unbedingt auf sachliche Richtigkeit ausgelegt.
Aber um den kleinlichen Diskussionen der Kommentare noch mehr Futter zu geben, hier mein Senf zur Stadionwurst:
Vorentscheidung bedeutet gemeinhin nichts weiter, als eine Aktion, Ergebniss o.ae. die/das sich vor der Entscheidung ereignet und sie beeinflusst. Somit ist jedes Spiel der Meisterschaft, oder des Pokals eine Vorentscheidung fuer den betreffenden Wettbewerb. Innerhalb eines Spiels ist das Ganze natuerlich etwas defiziler zu betrachten. Aber ich glaub man kann auch hier davon ausgehen, das jedes Tor eine Vorentscheidung des Spieles und somit eine Vorvorentscheidung der Meisterschaft, oder des Pokals ist.
Vor|ent|schei|dung, die; -, -en:
a) vorbereitender Beschluss, erste [richtungweisende] Entscheidung:
Was wird auf E 7 angesiedelt? Heute könnte eine wichtige V. fallen (MM 13. 3. 81, 19); eine V. treffen;
b) (bes. Sport) Stand eines Wettkampfes, Zwischenergebnis, mit dem sich die endgültige Entscheidung bereits abzeichnet:
dieses Tor bedeutete bereits eine V.; In der 58. Minute fiel so etwas wie eine V. (Walter, Spiele 157).
Quelle: Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in 10 Bänden. 3., völlig neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich: Dudenverlag 1999.
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