Der geläufige Zusammenhang erschließt sich wohl so: Eine Mannschaft gerät in der zweiten Minute durch einen unberechtigten Elfmeter in Rückstand und rennt fortan gegen die drohende Niederlage an. Sie spielt sich in einen Rausch und erarbeitet sich eine Menge Torchancen, sie scheitert entweder am gegnerischen Torwart, an Latte, Pfosten oder an der Zielungenauigkeit der eigenen Stürmer. In der 80. Minute wechselt der Trainer einen weiteren Stürmer ein, ein klares Foul im 16er wird nicht geahndet, der Elfmeterpfiff bleibt aus. In der Nachspielzeit dann passiert es doch noch: Angriff über außen, Doppelpass in den Strafraum, Flanke, Kopfball, Tor, Ausgleich. Interview: „Dass wir hier einen Punkt mitgenommen haben, war jawohl mehr als verdient!“
Man möchte meinen: Was verdient ist und was nicht, kann nur der Fußballgott wissen, und wenn der Ausgleich fällt, ist er verdient, wenn er ausbleibt, war er auch nicht verdient. Aber so einfach machen es sich die Aktiven selten, was schade ist. Stattdessen wird sich der eigenen Unzulänglichkeiten vermittels der ‚Verdient/Unverdient-Rede’ entledigt, und es werden Anleihen beim Schicksal genommen.
Hilfreich wäre, sich stattdessen auf die viel brauchbareren, weil notwendig subjektiven Begriffe Glück/Pech zu beschränken: „Wir haben Glück gehabt, nicht noch den Ausgleich kassiert zu haben!“, „Das war einfach Pech, nach diesem Sturmlauf nicht belohnt worden zu sein!“, „Erst hatten wir kein Glück, und dann kam auch noch Pech dazu!“ – das nähme der ganzen Kontroverse ihre Jenseitigkeit, die ohnehin nicht beobachtbar und verifizierbar ist: Verdient/Unverdient sind Kategorien ohne Wirklichkeitsbezug, sie delegieren Verantwortlichkeiten ins Fußball-Jenseits und wirken daher immer enorm trotzig. Glück und Pech erscheinen da viel weniger störend – jedenfalls solange nicht dann wieder behauptet wird, man habe sich das Glück redlich verdient bzw. immer Pech zu haben, sei unverdient. Es ist eben wie es ist, und das vollkommen verdient.
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