Mittwoch, 6. Dezember 2006

seitenwechsel #17

Auf schillernde Juwelen kann man von vielen Seiten blicken und staunen. Seit 1997 bereits beobachtet Seitenwahl für seine Leser das Gladbacher Geschehen, 2004 gesellte sich der VfLog dazu. Beide Projekte haben ihren eigenen unverwechselbaren Charme. Seit Beginn der Saison 06/07 gibt es nun den SEITENwechsel: Seitenwahl und VfLog haben einen Briefwechsel begonnen, in dem alles möglich ist: Fachsimpelei, Verbalfouls, Streit und Harmonie. Solange die Tinte reicht, wird auf Seitenwahl und auf dem VfLog Woche für Woche der Brief der jeweils anderen Seite veröffentlicht.

Unten der siebzehnte Seitenwechsel, diesmal hat wieder einmal Mike den Anfang gemacht. Maiks Antwortbrief findet ihr bei Seitenwahl.


Lieber Martin, lieber Maik,

am Samstag nutzte ich die Gunst der Stunde und besuchte das Heimspiel der U23, die im BorussiaPark gegen Fortuna Düsseldorf antraten. Da ich gedanklich das Spiel der Profis in München schon abgehakt hatte (gleichwohl die Hoffnung natürlich da war), freute ich mich, zum ersten Mal in dieser Saison den unmittelbaren Nachwuchs zu bestaunen. Ich gestehe zu meiner Schande, dass ich die U23 nicht so verfolgen kann, wie ich mir das mitunter wünsche. Dennoch war ich neugierig geworden, wollte ich doch wissen, ob das viele Lob, das die Jungs von Horst Wohlers in den letzten Wochen bekam, wirklich Substanz hat oder nur als übliche Floskel der jeweiligen Gegnertrainer verwendet wurde, die sich bei einem braven Punktelieferanten als zu höflich erweisen, um einen gerade geschlagenen Gegner noch verbal zu attackieren.

Dass dieses Spiel zu einem Heimspiel für Düsseldorf mutierte, war im Grunde weniger überraschend. Was sich mir da auf dem Rasen bot, überraschte mich dennoch in diesem Ausmaße. Die Marins, Schnitzlers, Fleßers' und van den Berghs spielen einen gepflegten Offensivfußball, sind taktisch geschult und zweikampfstark. Nun ist der letzte Tabellenplatz natürlich nicht allein durch böse Mächte entstanden, nein, spätestens in der zweiten Halbzeit offenbarte sich das ganze Grauen. Eine Großchance nach der anderen wurde teils kläglich versemmelt. Hätte man bei dieser Chancenstatistik die Zielstrebigkeit von Werder Bremen an den Tag gelegt, wäre Fortuna mit einer bösen Klatsche nach Hause gefahren. So fallen in den letzten zwei Minuten des Spiels zwei Tore, leider eines für jede Seite. Durch den Punktgewinn rutscht Fortuna gar auf den zweiten Platz, Borussia tritt weiter auf der Stelle. Mein Fazit: lasst die Jungs so weiterspielen, die werden sich noch fangen. Ob das allerdings zum Klassenverbleib reicht, ist fraglich. Die Düsseldorfer Fortunen braucht der VfL Osnabrück in dieser Form jedoch nicht zu fürchten, gleichwohl man zugestehen muss, dass die Gäste aus der Landeshauptstadt nicht nur wenige Tage vorher ein kampfbetontes Pokalspiel absolvieren, sondern mit Albertz, Feinbier & Co. auf sehr wichtige Stammspieler verzichten mussten.

Nach dem Spiel verfolgte ich dann mit Staunen das Treiben der Profis in München im TV, die vor der Pressekonferenz im Pressebereich des BorussiaPark eingeschaltet waren. Den Ausgleichstreffer von Delura nahm ich dann nur akkustisch wahr: die Ordner, die das Spiel in der "Mixed-Zone" weiter verfolgten, währenddessen schon die PK lief, konnten sich lauten Torjubel nicht unterdrücken. Dieses respektable Ergebnis, verbunden mit dem Abrutschen auf den Abstiegsplatz 16, musste natürlich die entsprechenden Schlagzeilen der schreibenden Kollegen nach sich ziehen. Gladbach sei "glücklich, auf einem Abstiegsplatz zu stehen". Merke: nicht jede Tatsache kann man in schlanke Überschriften verwandeln. Es sei denn, man verdreht dermaßen den Sinn, dass es passt. Schade, dass es manchen Kollegen nie auffällt.

Natürlich ist nach diesem guten Spiel nicht alles gut, genauso wenig, wie nach den letzten Wochen alles schlecht war. Nun kann man solche Dinge natürlich über Gebühr strapazieren. Unter langfristiger Entwicklung verstehe auch ich einen Zeitraum von bis zu drei Jahren, insofern könnte man sich das Sezieren der jeweils gezeigten Taktik und Aufstellung vor dem Hintergrund der Heynckes'schen Fußballphilosophie schenken und einfach über einen Fehlpass schimpfen oder über einen schönen Konter schwärmen. Doch wir müssen die intellektuelle Etikette wahren, also sprechen wir darüber!

Ich habe mir ein Cabriolet gekauft. Ja, im Herbst, den Winter vor der Tür. Antizyklisch handeln und investieren, das ist das Stichwort. "Sell on good news, buy on bad news", wusste schon Kostolany. Im Frühling wird das Mode, da steigen die Preise, da ruft die ganze Welt wie jedes Jahr nach Cabrios und Motorrädern (und dämlichen Sommerhits). Wie nahezu das komplette Umfeld nach einem Rauswurf Heynckes' rief, und das noch vor wenigen Wochen. SEITENWAHL hat zwar nie flammende Plädoyers für Heynckes gehalten, doch stets zur Ruhe und Geduld gemahnt. Geduld werde ich übrigens auch haben müssen. Doch spätestens im Frühjahr, wenn ich zum ersten Mal das Faltdach öffnen werde, wird sich meine Geduld ausgezahlt haben. Ich habe jetzt kurz überlegt, ob ich einen bildhaften Vergleich an dieser Stelle anbringe, indem ich das sich öffnende Verdeck eines Autos mit der Entwicklung der Mannschaft....aber nein, das würde zu weit gehen.

Einen guten Morgen wünscht
Mike

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