"Fußballregionalligist VfL Osnabrück hat im Achtelfinale des DFB-Pokals für die große Überraschung gesorgt." Und weiter: "Hertha BSC blamierte sich erneut" und bot eine insgesamt "enttäuschende Leistung". Soweit der Kollege vom Sportinformationsdienst (sid) aus Berlin um 19:24 Uhr. Sechs Minuten später wurde das Spiel VfL Osnabrück gegen Hertha BSC Berlin angepfiffen. Es endete 0:3, der VfL ist aus dem Pokalwettbewerb ausgeschieden, Berlin steht im Viertelfinale.
Wie wenig das Pokalspiel schlussendlich an seiner Berichterstattung ändern kann, wird offenbar, wenn man die Agenturjournalisten dabei beobachtet, wie sie große Teile des Spielberichts schon vor Anpfiff fertig geschrieben haben; wie ihr Fließtext nur noch Lücken lässt für Ergebnis und Torschützen; wie sich - im Falle eines Osnabrücker Sieges - der Ausfall von Yildi Bastürk bei den Herthanern "an allen Ecken und Enden" bemerkbar gemacht hätte; wie nun - nach dem Berliner 3:0-Sieg - Osnabrück das Fehlen von "Top-Torschütze" Addy Menga nicht kompensieren konnte.
Orientieren wir uns daran, was wirklich passiert ist, fiel weder der eine noch der andere Ausfall bemerkenswert ins Gewicht. Die Spieler waren eben einfach nicht dabei. Auf dem Platz standen andere. Claus-Dieter Wollitz ließ seine Mannschaft - erwartbar! - vergleichsweise defensiv mit einem 4-4-1-1-System beginnen. Vor der Abwehrkette agierte eine Mittelfeldreihe mit Bilal Aziz, Jo Enochs, Jan Schanda und Andreas Schäfer; davor im offensiven Mittelfeld Alex Nouri; als einzige klassische Spitze lief Thommy Reichenberger auf. Das brachte auf der einen Seite eine - dem höherklassigen Gegner angemessen - robustere Defensive, kostete auf der anderen Seite aber sicher auch Gefährlichkeit im Angriffsspiel. Reichenberger stand vorn oft allein auf verlorenem Posten.
Berlin spielte ähnlich; nur bot Trainer Falko Götz mit Marko Pantelic und Christian Gimenez zwei Stürmer auf, er verzichtete auf einen fünften Mittelfeldmann.
Götz wollte, das hatte er schon vor dem Anstoß gesagt, den Osnabrückern von Anfang an keine Gelegenheit geben, das Spiel zu machen. Seine Berliner sollten gleich von Beginn an das Heft in die Hand nehmen. So geschah es ab etwa der 15. Spielminute. Bis dahin hatte der VfL mithalten können, spielte deutlich selbstbewusster als in der total nervösen Anfangsphase gegen Gladbach und stand überaus kompakt. Ndjeng und Aziz bewiesen das ein oder andere Mal Übersicht und bauten das VfL-Spiel besonnen auf. Das Publikum spendete Szenenapplaus, und - Zeichen der vorübergehenden Berliner Unzufriedenheit - Pantelic sah Gelb wegen Meckerns. In der 16. Minute dann die erste bessere Chance für Hertha: Gilberto schoss aus der zweiten Reihe, verfehlte jedoch das Tor. Zwei Minuten später, Osnabrück hatte hinten zu lässig klären wollen und musste dann foulspielen, wieder Gilberto, diesmal ein Freistoß aus gut 20 Metern, knapp über das Tor. Der Druck der Berliner wuchs, vorerst noch nur mit schnellen Kontern.
In der 21. Minute tauschte Hertha-Coach Götz seine Mittelfeldspieler auf den Außenbahnen. Kevin-Prince Boateng, bis dahin rechts, wechselte nach links; Gilberto nahm die rechte Seite ein. Das sorgte nicht unmittelbar für mehr Gefahr, irritierte jedoch die gut organisierte Osnabrücker Hintermannschaft etwas und belebte vor allem das Berliner Offensivspiel, auf das Osnabrück sich bis dahin ganz gut eingestellt hatte. Hertha wurde gefährlicher. In der 24. und 25. Minute parierte der sehr gut aufgelegte Frederik Gößling zwei Schüsse von Pal Dardei und Ashkan Dejagah. In dieser Spielphase gelang es dem VfL oft nur per Foul, die Berliner zu stoppen; gefährliche Standards waren die Folge. Nach einer guten halben Stunde dann störte Marko Tredup den Herthaner Malik Fathi zu vorsichtig, Fathi konnte flanken, und was aussah, wie die Kopfballabnahme von Gimenez zum 0:1, war schlussendlich Fathis Flanke, die niemand mehr berührte. Der Ball schlug in der langen Ecke ein, Gößling traf keine Schuld, weil ein Torwart in einer solchen Situation immer erst dann weiß, dass der Ball keinen Adressaten mehr findet, wenn das Leder dabei ist, direkt ins Netz zu kullern.
Unter Umständen hätte dem VfL in der 36. Minute ein Elfmeter zuerkannt werden müssen, als Reichenberger nach einem Schanda-Schuss auf einmal im Strafraum lag. Pele Wollitz sagte nach dem Spiel, der Strafstoß wäre schön gewesen; nicht etwa, weil man Hertha, "die heute einfach zwei Klassen besser waren", dann gefährlich worden wäre, sondern weil man dem Publikum noch ein paar mehr Minuten einen richtigen Pokalfight hätte bieten können. Statt des Ausgleichs fiel fünf Minuten später das 0:2, und diesmal war es bestimmt Gimenez, der einen Pantelic-Drehschuss abstaubte. Boateng hatte vorher geflankt, und Gößling konnte nur die erste Pantelic-Attacke noch mit einer starken Parade abwehren. Gegen das, was dann kam, war er wieder machtlos.
Osnabrück hatte die Konzentration verloren, besonders im Spielaufbau. Nouri und Schäfer vertendelten den Ball allzu oft leichtfertig, und natürlich traut sich ein Regionalligist nach einem solchen Rückstand nicht mehr, selbstbewusst Druck zu machen. Der VfL spielte zu langsam und berechenbar, vielleicht phasenweise zu mutlos. Andererseits: Der Gegner setzte auch alle seine Klasse dagegen. Hertha stand hinten sicher und lief nie Gefahr, Osnabrück zu unterschätzen.
Verwirrung stiftete Trainer Götz abermals, als er Boateng und Gilberto zu Beginn der zweiten Halbzeit wieder die Positionen wechseln ließ, und mit dem 0:3 in der 50. Minute war das Spiel gelaufen. De Jong hatte den Ball vorher leichtfertig im Mittelfeld verloren, anschließend stand der VfL hinten zu offen, Sofian Chahed konnte von rechts flanken und abermals Gimenez in der Mitte verwerten. Was folgte waren nur noch einige Osnabrücker Alibi-Chancen in der Schlussphase: "Schüsse" von Schäfer, dem eingewechselten - und auffälligen! - Daniel Cartus und Tredup. Hertha konnte es sich leisten, das Spielen weitgehend einzustellen und den Vorsprung leicht und locker zu verwalten, anders als noch in der vergangenen Saison, als man in St. Pauli auch 2:0 zur Halbzeit führte, um das Spiel noch mit 3:4 zu verlieren.
Die mitgereisten Berliner jubelten, doch die große Mehrheit des Publikums feierte unablässig den VfL. Trotz der unvermeidbaren Niederlage sagten knapp 19.000 Zuschauer im ausverkauften Stadion an der Bremer Brücke nahezu die komplette zweite Halbzeit lang "Danke" - für eine mitreißende erste Halbserie in der Regionalliga Nord inklusive Herbstmeisterschaft. "Osna ist viel schöner als Berlin" skandierten die Zuschauer, "Spitzenreiter, Spitzenreiter"-Sprechchöre schallten durch das Stadion, und die Haupttribüne applaudierte stehend. Für diese Ovationen hatte die Mannschaft hart arbeiten müssen. Das Verhältnis zu den Fans war nach der enttäuschenden vergangenen Spielzeit lange Monate gespannt, doch versöhnlicher hätte die Adventszeit für Mannschaft und Fans nicht enden können. Dafür wiederum bedankte sich auch der Trainer Pele Wollitz nach dem Spiel ausdrücklich. Er hofft, dass die „tolle Unterstützung“ im kommenden Jahr so weitergeht. "Doch damit das so kommt, müssen wir den ersten Schritt machen. Das ist ganz normal: Wir müssen uns optimal vorbereiten und alles geben. Dann werden uns die Fans auch weiter so unterstützen."
Die Vorbereitung beginnt am 4. Januar. Bis zum Rückrundenstart verbringt die Mannnschaft - wie im Aufstiegsjahr 2003 - eine Woche auf Langlaufskiern in Saalfeld und ein weiteres Trainingslager auf Marbella. Gesund mit von der Partie ist dann auch wieder Goalgatter Addy Menga. Sein Fehlen im Pokalspiel gab der sid-Kollege übrigens per Telefon in die Zentrale weiter. Er buchstabierte: "Addy Menga, also A wie Adolf, D wie..."
Mittwoch, 20. Dezember 2006
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