Ich habe es schon einmal bekannt: Ich komme aus Wuppertal. Die aus lila VfL-Sicht erfreuliche Niederlage gestern sieht aus meiner kindlichen blau-orangenen Perspektive anders aus. Aber ich war nicht im Stadion, der WSV ist mir heute fast egal, und zu sehr hat mir die schwarz-grüne Niederlage zugesetzt. Aber mein Freund Markus war da und berichtet für uns. Über einen Besuch im Stadion am Zoo mit seinem Vater, bei dem der siegreiche VfL gar nicht so wichtig war. Und der WSV schon gar nicht.
Von Markus
Ich erinnere mich, wie Nick Hornby in Fever Pitch von seinem ersten Fußballspiel berichtet. Er wurde von seinem Vater mitgenommen. Gestern nahm ich meinen Vater mit zum Spiel WSV gegen VfL, dies war wahrscheinlich sein letztes Spiel. Zum ersten Mal seit sieben Jahren hat sich mein Vater wieder ins Stadion geschleppt: "Eigentlich hab ich gar keine Lust zu gehen!" Er konnte sich aber noch an ein glorreiches 5:0 aus der Aufstiegsrunde 71/72 erinnern, in welcher der WSV klar vor Osnabrück in die Bundesliga aufstieg. Aber diese Zeiten sind vorbei. Heute humpelt mein Vater am Krückstock ins Stadion und der WSV irgendwo in der Mittelmäßigkeit der Regionalliga. Letztes Jahr erst hat er (mein Vater, nicht der WSV...) sich, wie einst Bernd Trautmann bei Manchester City, das Genick gebrochen. Jedoch hielt er das nicht nur weitere 15 Minuten ohne Behandlung durch, sondern 6 Wochen, bis endlich ein Arzt das Röntgenbild richtig lesen konnte. Seitdem geht er nicht mehr viel raus.
Nun wollte ich ihm mal ein wenig Abwechslung gönnen und nahm ihn mit ins Stadion. Mein Vater entspricht dem Musterfan aus Fever Pitch, der Nick Hornby so am Fußball fasziniert. Er meckerte geschlagene 90 Minuten in einem durch. Nicht, dass man ihm dies verübeln konnte, es war ein Grottenkick, eine Fehlpass- und Fehlentscheidungsorgie (der Linienrichter war ein Vollpfosten!), aber trotzdem war ich peinlich berührt. Die Art Fan, die mein Vater symbolisiert, scheint ein Auslaufmodell zu sein. Der Wuppertaler Fan benutzt in jedem, in wirklich jedem seiner Fangesänge das Wort "Scheiße". 5. Minute, die WSV-Fans stimmen grade "Scheiße, Scheiße, Scheiße Osnabrück!" an, das 0:1 fällt aus heiterem Himmel. Aber der WSV-Fan ist ja kreativ, es folgen Variationen wie "Scheiß VfL!" oder auch im Wechselgesang mit den VfL-Fans "VfL!" – "Scheiße!". Da mag man über den charmantesten Fangesang überhaupt verfügen, "Dat Lehnchen vom Tippen-Tappen-Tönchen", man reduziert sich aber lieber auf "Wuppertal, asozial!". Wie Berlin den HipHop hat, den es verdient, hat der WSV eben die Fans, die er verdient.
Mein Vater, der die Grünen fast so schlimm wie die NPD findet (ist das verfassungskonform?), ist da anders. Er empfindet eine Verachtung für die Massen und mimt den Alleinunterhalter, Ekel Alfred im Stadion. Er schreit den Schiri und den Linienrichter an "Wo ist denn dein Blindenhund?", oder "Hast du nen Silberblick, oder was?". Die Spieler sind schlechter als meine Ur-Großmutter, ebenfalls blind und scheinen nicht geradeaus laufen zu können. Das Management, der Präsident, der Trainer und selbst die Stadionwurst kriegen ihr Fett weg. Alles in einer Lautstärke, die es den Denunzierten fast möglich macht, alles zu verstehen. Auf jeden Fall wird unsere nähere Umgebung auf uns aufmerksam, belächelt uns zum Teil oder betrachtet uns mit Verachtung. Ich starre gebannt aufs Spielfeld, gebe vor, meinen Vater nicht zu hören, oder widerlege ihn für alle hörbar mit zu Schau gestellter Objektivität. Nicht weil ich glaube, dass mein Vater unrecht hat – mir ist es einfach unangenehm. Im Nachhinein war das Verhalten meines Vaters ebenso charmant wie „Dat Lehnchen", aber leider passt beides nicht mehr zum WSV.
Ich merke, dass ich kein richtiger Fan bin. Ich habe einfach kein Herzblut für diesen Verein. Ich betrachte ihn nur aus Kuriosität, wer vom WSV-Sommertheater des vergangenen Jahres gehört hat, versteht, was ich meine. Wäre ich ein richtiger Fan, würde ich wahrscheinlich ebenfalls "Scheiße, Scheiße, Scheiße Osnabrück!" brüllen. Ich erwische mich jedoch dabei, wie ich beim 0:1 drei, vier Mal in die Hände klatsche, aufgrund der wirklich schönen Einzelleistung von Schütte. Ich rege mich nicht auf bei Fehlpassorgien, ich bin unbeteiligt. Bis auf eine Hand voll Fans, die sich dem Verein seltsamerweise immer noch innig verbunden fühlen, geht es vielen Wuppertalern so wir mir. Wir sind Schönwetter-Fans und verlaufen uns nur aus Mangel an Alternativen ins Stadion am Zoo, hoffen auf schöne Spiele und werden oft enttäuscht. So auch gestern. Das 1:4 war verdient, wenn auch nicht unbedingt in dieser Höhe. Der VfL war einfach cleverer und hat mehr spielerische Klasse. Wir fahren nach Hause und geben uns weiter der pre-elektoralen Tristesse hin. Nur mein Vater nicht, dem geht es nach soviel Meckerei immer richtig gut.
Sonntag, 7. August 2005
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