„Was willst du denn? Verpiss dich!“ Das war der deutlich hörbare Willkommensgruß von Dominic Peitz kurz nach der Halbzeit an den eingewechselten Fürther Ivo Illicevic. Es stand zwar noch 1:1, doch wer die Befehlshoheit gestern Nachmittag an der Bremer Brücke hatte, war da schon klar.
„Ist das der erste Sieg in der 2. Liga, bei dem ich jetzt auf die Toilette gehen könnte?“, fragte mein Bruder eine Viertelstunde später. Da stand es dann 4:1. Und noch immer waren 25 Minuten zu spielen. Was macht man eine so lange Zeit tiefenentspannt auf der Tribüne? (Jetzt mal abgesehen von dem kurzen Jubel über das 5:1.)
Die VfL-Fans vertrieben sich diese lange Weile mit La Ola und Singen, Pele Wollitz mit zufriedenem Dreinschauen und Fürth-Coach Benno Möhlmann, in der ersten Hälfte noch ein Rumpelstilzchen an der Seitenlinie, mit Gedanken an etwas Schönes, seine Frau vielleicht. Allein die elf Osnabrücker auf dem Rasen machten sich aus all dem sonntäglichen Müßiggang nichts. Sie spielten weiter, als bedeutete das sechste Tor den direkten Klassenerhalt. Das war fein anzuschauen. Unermüdlich rackerten sie, fielen über die ballführenden Gegner regelrecht her, spielten mit viel Witz nach vorn und vergaben noch ein paar gute Chancen. Je länger der Abpfiff auf sich warten ließ, desto mehr hatten die Akteure aus Fürth offensichtliche Freude daran, ihren bescheidenen Anteil zu einem großen Sieg beizusteuern. Einige anpassungsresistente Personen bewerkstelligten mit großem Eifer den höchsten VfL-Zweiligasieg in diesem Jahrtausend. (Jawohl, das stimmt. Schließlich endete das Spiel gegen Aachen vom 1.4.2001 auch nur 5:1.)
Ein „Bauchgefühl“ hatte Pele Wollitz zuvor veranlasst, Tino Berbig ins Tor zu stellen und nicht Stefan Wessels. Was genau das sollte, ist auch nach diversen Erklärungsversuchen nicht ganz einsichtig, schließlich sei, so der Trainer, die Leistung für diesen Wechsel nicht ausschlaggebend gewesen. Vielmehr habe er vor diesem Spiel allen Druck von der Mannschaft und auf sich nehmen wollen; im Falle einer Niederlage hätten alle ihn verdammen sollen ob seiner verqueren Personal-Logik, nicht sein Team. Das ist nur auf den ersten Blick einleuchtend, aber jetzt ja auch egal. Statt einer Niederlage hat Wollitz’ VfLogik zu einem eminent wichtigen Sieg verholfen.
So ein Sieg schien nach dem Debakel von Koblenz weiter entfernt denn je. Etwas habe nicht gestimmt im Team, orakelte Wollitz. Hätte die Mannschaft das nicht intern ausgeräumt, „dann hätte ich das geklärt“. Woran genau es haperte, damit wollte der Trainer nicht rausrücken. Vielleicht wird umgekehrt ein Schuh draus. „Leidenschaft, Hingabe, Identifikation“ attestierte der stolze Coach seinen Spielern gestern, genau das hatte zuvor so oft gefehlt. Nachdem Osnabrück schon in Aachen, gegen Duisburg und St. Pauli die klar bessere Mannschaft war, aber nie gewann, erntet sie nun endlich einmal das aufwändig bestellte Feld und zeigt allen Kritikern, was eine Harke ist (→ Delling, Gerhard).
Von Beginn an überzeugte der VfL, war das aggressivere, energischere und zweikampfstärkere Team, doch zuerst lief alles wie immer: Der Gegner nutzt einen bitteren Stellungsfehler nach einer Standardsituation aus – diesmal hatte Paul Thomik geschlafen – und schießt eiskalt das 0:1. Nach diesem Rückstand stand das Spiel kurz auf der Kippe: Osnabrück war nach wie vor das bessere Team, doch dem Gesetz der Regel dieser Saison folgend schien alles auf den zweiten Gegentreffer zu warten. Allen voran drei VfLer wollten das nicht mit sich machen lassen: Pierre de Wit, Mathias Surmann und Konstantin Engel stemmten sich mit großem Einsatz gegen die nächste Enttäuschung und zogen ihre Mannschaftskameraden mit.
Bemerkenswert war, wie variabel der VfL trotz Personalsorgen ungebrochen guten Fußball spielen kann: Als Marcel Schuon nach 20 Minuten ausfiel, stellte Wollitz das ohnehin schon mächtig veränderte Team nochmals auf mehreren Positionen um: Henning Grieneisen rückte aus dem rechten Mittelfeld auf den linken Verteidigerposten, Engel spielte fortan Innenverteidiger, Surmann rückte auf den Platz im rechten Mittelfeld, der eingewechselte Peitz mimte den Sechser im defensiven Mittelfeld; anschließend tauschten Surmann und Paul Thomik auf der rechten Seite noch mehrfach die Positionen. Nicht nur die fünf Tore, zwei davon toll herausgespielt, auch diese Vielseitigkeit zeugt von der fußballerischen Qualität des Teams.
Mit hohem Risiko schaffte die Mannschaft endlich den ersten unerwarteten Saisonsieg. Manchmal, wenn sich auch die Defensivabteilung mit aller Macht aufmachte, den Angreifern beim Toreschießen zu helfen, stand der VfL hinten recht offen. Zuletzt wurden Mannschaft und Trainer häufiger genau dafür kritisiert; dieses bedingungslose auf Sieg Spielen brachte schließlich auch schon das ein oder andere Gegentor ein. Fußballgottlob hat sich das Team diese Kritik nicht zu Herzen genommen, sondern ist, im Gegenteil, munter geblieben. Auch die Kritiker von sonst dürften beim 5:1 siegestrunken mitgeschunkelt haben und einen so wunderschönen Tag wie heute nie vergehen lassen wollen.
Nun ist das rettende Ufer ein winziges Stück breiter geworden. Was in einer solchen Situation ein zweiter Sieg in Folge bedeutet, ist eine derart große Binse, dass wir sie für uns behalten. Ganz nüchtern sei festgestellt: Am kommenden Freitagabend schon spielt der VfL in Oberhausen. Dominic Peitz wird wieder mit dabei sein und auch mein Bruder. Wünschen wir beiden, dass sie Mitte der zweiten Halbzeit erneut in Ruhe zur Toilette gehen können.
Montag, 16. März 2009
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