In der Sommerpause setzen wir beliebte Institutionen wie den Seitenwechsel oder "5 Minuten für die VfLs" aus. Doch keine Bange: Sie werden ersetzt durch Innovationen, um die sich in den nächsten, heißen Sommerwochen ebenso eine erlesene Schar begeisterter Anhänger versammeln wird. Dienstags, sonst der Kurzliteratur gewidmet, ist nun im Sommer Dramulett-Tag.
Black. Aus dem Off: Versatzstücke einer Fußball-Reportage.
Hätten sie hier anders auftreten müssen... Da tänzelt er sich zwei Mal durch die Abwehr, niemand stört ihn, und schießt in drei Minuten alle Träume kaputt... Oh, die Flanke kommt von links vor das Tor, gefährlich. Kopfball - 0:3... Was geht in ihrem Trainer vor? In ihrem Manager? Dieser Offenbarungseid... Ja, greift da denn überhaupt noch einer an? Nein! Der geht über rechts, zieht ab, wieder ist er drin. 0:4...
Grelles Licht. Grüner Bühnenboden. Hinten eine Trainerbank, darauf sitzt rechts ein Mann. Vorn Stadionzaun. Aus dem Hintergrund treten sechs Männer - sechs Fußballer, statt Trikots weiße Hemden, nicht schmutzig, nicht abgekämpft, perfekt gestylt - nach vorn; unter ihnen ein Schwarzafrikaner. Sie verharren vom Publikum aus gesehen hinter dem Zaun. Ihre zurückhaltenden Gesten künden von Enttäuschung und Schuld. Sparsam applaudieren sie.
(Reporter, aus dem Off.) Noch 2:4 am Ende, trotzdem ist dies der neuerliche Tiefpunkt. Das hätte ich nicht für möglich gehalten...
Pause. Die sechs Spieler drehen sich um. Die Bühne dreht sich, so dass sie schließlich dem Publikum wieder entgegen laufen. Fünf gehen seitlich ab, auch der Schwarzafrikaner. Einer, Thomas, setzt sich zu dem Mann, Lothar, auf die Trainerbank, jetzt mit dem Rücken zum Publikum. Zwischen ihnen sind drei Plätze frei.
Pause. Beide Männer starren geradeaus. Thomas mit hängendem Kopf, die Hände darüber zusammengeschlagen. Thomas nuschelt einen unverstehbaren Satz.
Lothar (unbeteiligt seufzend): Jaja.
Pause.
Thomas (aggressiv): Was für eine Scheißwichse war das?! Ich muss mich nicht hier hinstellen und den anderen zusehen, den Ärschen! Ich bin nicht hier zum Zusehen. Nicht diesen Ärschen! Denen nicht! Sonst begaffe ich alle meinetwegen. Meine Frau meinetwegen, meinetwegen die. Meinetwegen stehe ich daneben und schaue ihr zu und gaffe sie an. Aber nicht diesen Ärschen. Dabei sehe ich nicht zu.
Lothar (unbeteiligt seufzend): Jaja.
Pause.
Nacheinander gehen zwei Scheinwerfer aus. Die Bühne merklich dunkler. Thomas schaut längere Zeit zu Lothar. Lothat schaut geradeaus.
Thomas: Willst du denen länger zusehen?
Lothar schweigt.
Thomas: Das glaube ich dir nicht. Pause. Diese Wichser. Willst du denen etwa noch länger zusehen?
Lothar (süffisant): Welche "denen"?
Thomas: Ach!
Lothat schaut gedankenverloren in den Himmel. Thomas schaut erneut zu ihm rüber. Thomas räuspert sich.
Lothar (schaut plötzlich zu ihm): Bitte?
Thomas (wieder nach vorn stierend, nuschelnd): Nichts.
Lothar (beharrlich): Bitte?
Thomas (schaut ihm in die Augen, deutlich): Nichts.
Lothar steht auf und dreht sich um, lehnt sich mit beiden Armen über die Überdachung der Trainerbank, dem Publikum zugewandt.
Lothar: Bald hat meine Tochter Geburtstag. Ich habe noch immer kein Geschenk. (klatscht mehrfach in die Hände) Ja, ich applaudier mir! (verächtlich) Verlierer applaudieren sich. Charakterlose Schweine applaudieren sich. Hier, ihr Scheiß-Zuschauer: Ich bin toll! Ich bin ein Versager, aber toll. Ich bin unschuldig. Ich applaudiere mir. (klatscht erneut in die Hände)
Thomas: Die ganze Welt ist schlecht, und wir stehen hier und können nichts ändern.
Lothar: Nein. Die Welt von denen, die ist schlecht.
Stille. Lothar geht nach hinten zum Stadionzaun, klettert auf den Zaun und wendet sich um.
Lothar (schreit): Die Welt von denen, die ist schlecht! Verstehst du?
Thomas (zeterend vor sich hin): Ärsche! Ärsche. Alles Ärsche. Wichser.
Lothar (kommt zur Bank zurück): Was für eine Scheißwichse ist das?! Ich muss mich nicht hier hinstellen und dir zuhören, du Arsch! Jetzt gehts rein und kommts dann nächste Woche wieder raus und spuits Fußball!
Lothar ab. Thomas verharrt schweigend auf der Bank. Black.
Dienstag, 19. Juni 2007
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