Dienstag, 26. September 2006

seitenwechsel #8

Auf schillernde Juwelen kann man von vielen Seiten blicken und staunen. Seit 1997 bereits beobachtet Seitenwahl für seine Leser das Gladbacher Geschehen, 2004 gesellte sich der VfLog dazu. Beide Projekte haben ihren eigenen unverwechselbaren Charme. Seit Beginn der Saison 06/07 gibt es nun den SEITENwechsel: Seitenwahl und VfLog haben einen Briefwechsel begonnen, in dem alles möglich ist: Fachsimpelei, Verbalfouls, Streit und Harmonie. Solange die Tinte reicht, wird auf Seitenwahl und auf dem VfLog dienstags nach Spieltagen der Brief der jeweils anderen Seite veröffentlicht.

Unten der achte Brief von Mike an Martin, Martins Antwort gibt es bei Seitenwahl.


Lieber Martin, lieber Maik,

ein Wochenende mit gemischten Gefühlen, wahrlich. Borussia ist zwischenzeitlich Tabellenführer, der VfL aus Osnabrück verliert auswärts. Ob das am Kürzel "VfL" liegt? Vielleicht sollten wir uns einmal die Mühe machen, die Auswärtsstatistik von Mannschaften mit dem Kürzel "VfL" zu untersuchen. Letztlich werden wir merken, dass sowieso nur der Fußballgott dahinter steckt, den ich irgendwann - trotz aller bereits erlebten Strafen - durchschauen werde. Irgendwann werde ich sie haben, die große Formel des Fußballs. Ich werde alles erfahren, alles aufdecken: warum man als "VfL" auswärts nicht gewinnen kann, warum es keine homosexuellen Fußballer zu geben scheint, warum jedes Pokalspiel der Bayern im TV gezeigt wird, warum Johannes B. Kerner nicht nur Koch-, sondern auch Fußballsendungen moderieren darf und wo der tiefere Sinn von OnlineMagazinen steckt.

Auf der Suche nach DER Formel gibt es im Büchermarkt und Internet einige interessante Hinweise und Anhaltspunkte. Ich habe mich mal auf die Suche gemacht, getrieben vom Ehrgeiz, DIE Formel zu finden. Eine Studie z.B. besagt, dass eine offensivere Ausrichtung der Mannschaft durch taktische Einwechslungen seltener zum Erfolg führt, als wenn die Trainer ihrer Anfangstaktik treu blieben. Oder wusstet Ihr, dass Goethes Faust der meistzitierte deutsche Text im Sportjournalismus ist, wenn auch meist zweckentfremdet? Von "Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust" über "Grau, teurer Freund, ist alle Theorie" und "Hier bin ich Mensch" bis zu "Ein garstig Lied! Pfui! ein politisch Lied", der deutsche Sportjournalist liebe Goethe. Es finden sich herrlich viele nützliche, kuriose und unwichtige Dinge. Kaum ein Gebiet, das bis dato nicht erforscht wurde. So stellten Musikwissenschaftler beim Spiel des 1.FC Köln gegen Borussia Dortmund am 07.12.1996 verblüfft fest, dass der Kölner Fanblock den Schmähgesang gegen einen Konkurrenten im Abstiegskampf ("Wir singen Gladbach, Gladbach, zweite Liga - oh ist das schön, euch nie mehr zu sehn") sauber in Fis-Dur (mit sechs vorgezeichneten Kreuzen) zu Gehör brachte - eine Herausforderung, an die sich kaum ein Leiter eines Kirchenchors heranwagen würde. Nun, gönnen wir den Kölner ihre Sangeskunst. Heute, zehn Jahre später, wissen wir alle, wo das hingeführt hat beim Domstadtclub.

Forschen wir weiter, und kommen langsam unserem Ziel näher: Köln ist laut Sportsoziologe Hans Stollenwerk, der sich mit den Mentalitäten verschiedener Fangruppen in NRW beschäftigt hat, die Hauptstadt der Nörgel-Fans. Mehrere zehntausend Stadionbesucher wurden per Fragebogen nach ihrer Beziehung zum jeweiligen Verein, aber auch nach generellen Lebensumständen befragt. In Köln gibt es deutschlandweit die meisten Nörgler (wundert das jemanden bei diesem Verein?). Anders in Mönchengladbach (aha!): Hier gehen vor allem die unteren sozialen Ränge ins Stadion (pfui!), jedenfalls war das am alten Bökelberg so. Und die Gladbacher Fans sind besonders treu, so Stollenwerk: Der Anteil der Zuschauer, die besonders stark emotional engagiert sind, ist in Mönchengladbach so hoch wie nirgendwo sonst (klar, oder?). Diese Beobachtung geht allerdings einher mit einem extrem niedrigen Frauenanteil unter den Besuchern von nur 14 Prozent. Attraktiv finden Frauen besoders die Leverkusener BayArena. Soviel dazu!

Dann wurde ich fündig: Evolutionsbiologen von der Universität Northumbria (Newcastle) haben das Hormon Testosteron als Grund für den Heimvorteil ausgemacht. "Wie andere Tiere, die ihr Revier bewachen und beschützen, sind Fußballspieler energiegeladener, aktiver und selbstsicherer, wenn sie von auswärtigen Gruppen bedroht werden", sagt Nick Neave von der Uni in Northumbria. Die Arbeit seiner englischen Kollegen nutzte der Düsseldorfer Psychologe Clemens Kirschbaum zu dem Ratschlag an notorisch auswärtsschwache Teams, zur Erhöhung des Testosteronlevels doch einfach die Ehefrauen mitzunehmen, wenn es auf Dienstreise in fremde Stadien geht! Ha, wäre doch gelacht, wenn wir das nicht hinbekommen. Herr Heynckes, Herr Pander, Auftrag erkannt?

Eine Sache hat mich dann doch schockiert. Der Sportpsychologe Bernd Strauß hat festgestellt, dass der weit verbreitete Glaube an die Spielbeeinflussung durch Schlachtrufe nur ein Mythos sei. Eine Auswertung aller Bundesligaspiele zwischen 1963 und 1995 hat ergeben, dass der normalerweise angenommene Heimvorteil sich immer dann ins Gegenteil verkehrte, wenn besonders viele Zuschauer ins Stadion kamen. Es gebe zwar Studien, die besagen, dass die Heimmannschaften 60 Prozent der Spiele für sich entscheiden können, sich dieses Verhältnis bei wichtigen Spielen, wenn es also um Meisterschaft und Abstieg dreht, umkehre. Es ist anscheinend so, dass Anweisenheit und Lautstärke der eigenen Fans zwar dazu führen, dass sich die Spieler mehr anstrengen und vielleicht schneller laufen, aber die Konzentration nimmt deutlich ab und damit die Fehlerquelle zu.

Was sagt uns das resümierend? Borussia und der VfL Osnabrück fahren zum nächsten Auswärtsspiel mit Ehefrauen und ohne Fans. Wenn Fans mitkommen, sollen sie bitte leise sein. Achja, und rote Trikots tragen. Mannschaften oder Sportler in roten Trikots sind im Durchschnitt erfolgreicher als der Rest.

Wahrlich viele Informationen. Aber letztlich alles nur Puzzleteile, die es zusammenzulegen gilt. Wollt Ihr es versuchen?

In diesem Sinne
Euer Mike

P.S.: alle Ergebnisse sind nachzulesen in "Macht Köpfen dumm? - Neues aus der Fußball-Feldforschung", Armin Himmelrath, HERDER spektrum-Verlag

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Profane Erklärung für schlechte Ergebnisse vor großer Heimkulisse: Gegen Bayern ist halt immer ausverkauft.

Anonym hat gesagt…

Die Theorie von den roten Trikots dürften Köln und Kaiserslautern längst widerlegt haben.