Mittwoch, 22. November 2006

seitenwechsel #15

Auf schillernde Juwelen kann man von vielen Seiten blicken und staunen. Seit 1997 bereits beobachtet Seitenwahl für seine Leser das Gladbacher Geschehen, 2004 gesellte sich der VfLog dazu. Beide Projekte haben ihren eigenen unverwechselbaren Charme. Seit Beginn der Saison 06/07 gibt es nun den SEITENwechsel: Seitenwahl und VfLog haben einen Briefwechsel begonnen, in dem alles möglich ist: Fachsimpelei, Verbalfouls, Streit und Harmonie. Solange die Tinte reicht, wird auf Seitenwahl und auf dem VfLog Woche für Woche der Brief der jeweils anderen Seite veröffentlicht.

Unten der fünfzehnte Seitenwechsel, diesmal hat Maik den Anfang gemacht. Seinen Brief findet ihr bei Seitenwahl. Und hier lest ihr Mikes Antwort.


Lieber Maik,

dass Du als Osnabrücker die aktuelle Lage so pointiert einschätzt, entbehrt nicht einer gewissen Tragik. Aber verzeih, wenn ich mich nun nicht darauf einlasse, über das Für und Wider eines Jupp Heynckes mit Dir zu philosophieren. In der öffentlichen Wahrnehmung steht er bereits kurz vor dem Aus. Der für mich einzig interessante Aspekt ist folgender: zu Beginn der Saison waren fast alle nahezu euphorisch ob seiner Einstellungen zum Fußball, zur Ausbildung von jungen Leuten, seiner Sichtweisen. Damals wurde alle Kritik barsch abgetan. Heute, wo es sportlich nicht sonderlich läuft, springen die Fans (getrieben vom Boulevard) auf den Zug auf, den vor allem Schalker und Frankfurter zu Beginn haben starten lassen. Ein faszinierendes Beispiel gruppendynamischer Kommunikation.

Was ich Dir eigentlich schreiben wollte. Vor einigen Tagen las ich einen bemerkenswerten Artikel des geschätzten Christian Zaschke von der "Süddeutschen Zeitung". Ein Artikel, der in Mönchengladbach wie blanker Hohn ankommen muss. Keine noch so sachliche Analyse, keine noch so intelligente Diskussion hat mir das Elend um Borussia so deutlich vor Augen geführt wie die Worte von Christian Zaschke. Ich bin daher so frei und zitiere auszugsweise den Kollegen, ohne weiteren Kommentar:

"Seit der ersten Bundesliga-Saison 1963/64 gab es lediglich acht Fälle, in denen eine Mannschaft am Ende der Saison mehr Auswärts- als Heimpunkte gesammelt hatte; fünf dieser Fälle datieren aus diesem Jahrtausend. Die Frage ist, ob es sich um eine statistische Anomalie handelt. Vieles deutet jedoch darauf hin, daß ein Trend vorliegt. (...) Im Fußball kommen derzeit mehrere Faktoren zusammen: Erstens: defensive Ausrichtung. Zweitens: Unfähigkeit, diese zu überwinden, auch, weil Individualismus abtrainiert wird. Drittens: Druck durchs unruhige Heimpublikum – das zudem in den letzten zwanzig Jahren ein anderes geworden ist und häufig mit der Erwartungshaltung eines Theaterpublikums ins Stadion kommt (es hat gezahlt, nun soll etwas geboten werden). Zu fragen wäre auch, ob in den neuen Arenen mit den Sponsorennamen eine zunehmende Entfremdung stattfindet, also nicht der Fan sein Team in der Heimat unterstützt, sondern das Publikum der Mannschaft in der Arena zusieht. Einstweilen ist die Heimschwäche eine Auffälligkeit, ein Trend. Es ist zu früh, sie einen Zustand zu nennen."

Beeindruckt ob so viel Wahrheit in so wenig Worten,
Mike

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