Sonntag, 23. Oktober 2005

spannungsverhältnis

Es ist nicht leicht, nach einem Spiel wie in St. Pauli die richtigen Worte zu finden. Es war nicht nur ein Gebot geteilter Freude, dem Sieger des Wochenendes den Vortritt in seiner feucht-fröhlichen Spiel-Analyse zu lassen; es war auch schlicht notwendig, um das in Hamburg Gesehene angemessen beäugen zu können. Ein Dreieck aus Enttäuschung, Ärger und Stolz bildet ein Spanungsfeld, in dem man sich nicht - jedenfalls nicht glaubwürdig und überzeugend - für eine Ecke entscheiden kann. Eingetreten ist jedoch allemal das, was lange nicht mehr Fakt war an der Bremer Brücke: Eine Saison des langweiligen Mittelmaßes beginnt, an Konturen zu gewinnen.

Im Block A am Millerntor war diese Unentschiedenheit unter den Fans zu spüren, das war vielleicht das schönste an dem Nachmittag gestern. Den Stab über die Mannschaft brechen, das konnte, das wollte man nicht. Dafür hatten die Lila-Weißen auch gerade in der zweiten Halbzeit zu aufopferungsvoll gekämpft. Es klappte nicht viel, es misslang sogar einiges, und beizeiten zweifelte der ein oder andere an den fußballerischen Fertigkeiten der Herren Schäfer oder Waku-Menga; letzterer konnte, entgegen der erwartbaren Lobhudeleien in so manchen Spielanalysen, einmal mehr nicht überzeugen, im Gegenteil: Belebung sieht anders aus. Dennoch: Die Mannschaft, das war zu sehen, war drückend überlegen, sie stemmte sich gegen die Niederlage, sie fightete - wenn auch die Mittel derzeit offenbar nicht langen.

Das macht das Urteil schwierig: Der Zuschauer ist gefangen. Spielten die Wollitz-Kicker indiskutabel schlecht, fehlte es an Einsatz und Willen - man könnte einfach und berechtigt sauer sein und hätte etwas, das der Mannschaft vorzuwerfen wäre. Aber weit gefehlt: Man kann den Spielern 'nur' vorwerfen, ihre Möglichkeiten nicht genutzt, einige Großchancen leichtfertigst vergeben zu haben. Die Situation ist ähnlich der eines Roy Makaay in München: Man kann niemandem wirklich böse sein, nirgendwo ist Gleichgültigkeit im Spiel. Niemand wird ausgepfiffen. Man fühlt mit, man leidet mit - und ist gleichsam machtlos der Enttäuschung ausgesetzt. Das wiederum ist der Grund allen Ärgers.

Das einzige, was sich Pele Wollitz und die Vereinsführung vorwerfen lassen muss, ist das, was ihnen zurecht schon seit Saisonbeginn vorgeworfen wird, jedenfalls von uns; es tritt gerade in solch bitteren Spielen besonders deutlich zu Tage: Mit Außenspielern wie Koch, Schäfer und auch Ewertz ist der VfL schwach und deutlich nicht zweitligatauglich besetzt. Das abzustellen, dazu ist jetzt ein Dreivierteljahr Zeit.
Die Auswechslungen von gestern - also die Entscheidung, mit Flottmann und Heider irgendwie, mit Biegen und Brechen etwas an dem zu ändern, was offenbar nicht zu ändern war - nun jedoch als Anlass für eine Trainerdiskussion oder - ähnlich dumm - Einwechselspieler-Schelte zu missbrauchen, das weist den vermeintlichen Kritiker als Deppen aus - mit Verlaub.

Wie dem auch sei: "Aufstieg" jedenfalls ist ein Wort, das der VfLog erst wieder bemüht, sollte der VfL sich noch einmal auf wenigstens vier Punkte an die ersten beiden Plätze herangekämpft haben. So lange bleibt das Wort tabu. Das Wort "Aufstieg" macht gemeinsam mit "Vollbeschäftigung" und "Champions-League-Finale" Ferien. Auch wenn es schwer fällt.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Wirklich mal ein zutreffender Beitrag inmitten all der gemalten Horrorszenarien.