Donnerstag, 3. April 2008

seitenwechsel #55

Schon montags können wir ihn kaum erwarten, den wöchentlichen Seitenwechsel mit den lieben Kollegen von Seitenwahl. Seit der vergangenen Saison schreiben wir uns gewöhnlich mittwochs, manchmal auch donnerstags Brand-, Schmäh- oder Liebesbriefe - mit noch immer wachsender Leidenschaft. Unser Gespür, besondere Anlässe gebührend auszukosten, ist weltbekannt: Für den aktuellen Seitenwechsel vor dem Derbie gegen K. hat sich Stammspieler Mike unter tosendem Beifall ausgewechselt - und Christoph kommt ins Spiel. Oder hat der sich selbst eingewechselt? Jedenfalls fordert er Spektakel und schließt sich wohl stillschweigend Maiks 5:1-Tipp bei Seitenwahl an.

Lieber Maik,

Rob Friend als Luca Toni der zweiten Liga? Beide spielen beim Tabellenführer ihrer Liga, haben Stärken im Kopfball, fast die gleiche Körpergröße (wobei die Angaben schwanken) und in dieser Saison fast die gleiche Anzahl an Ligatoren (hier schwanken sie nicht). Gerade die Trefferzahl allerdings hätten vor der Saison wenige für möglich gehalten. Um Luca Tonis möglichen Wechsel nach München wurde bereits Wochen, bevor er feststand, eine umfangreich publizierte Daily Soap veranstaltet. Unter enormem, auch selbst auferlegtem Druck, endlich einen richtig großen Namen zu präsentieren, hatte die Bayernführung die Fühler immerhin nach dem aktuellen Torschützenkönig der italienischen Seria A ausgestreckt, gerade von der UEFA als bester Torjäger Europas mit dem Goldenen Schuh geehrt. Ein Jahr zuvor war Toni mit Italien Weltmeister und danach ins All-Star Team der WM gewählt worden. Exquisit las sich die Liste der spanischen, italienischen und englischen Vereine, die um den Stürmer buhlten, und dass sich Uli Hoeneß schließlich die begehrte Unterschrift sicherte, wurde als großer Coup gefeiert. Dagegen Friend: ein Stürmer „mit der Torquote eines Mittelfeldspielers“, wie in den einschlägigen Foren gejammert wurde. Beim SC Heerenveen nicht über die Rolle des Jokers hinausgekommen, hatte es Friend auch nach seiner Ausleihe nach Almelo nur auf drei Treffer in zwölf Spielen gebracht. Vom „weißen Kahê“ war denn auch die Rede, als es in Gladbach mit dem Toreschießen nicht sofort klappen wollte. Dass man inzwischen über die Parallelen zwischen Toni und Friend sinniert, verweist somit zugleich auf den wesentlichsten Unterschied: Luca Toni hat die Erwartungen erfüllt, Rob Friend sie weit übertroffen. Entsprechend überschwänglicher muss man im Nachhinein dem Duo Ziege-Luhukay zur Verpflichtung gratulieren.

Zur Gratulation bietet die Tabellensituation beider VfLs derzeit reichlich Anlass, wie Du so treffend erläuterst. Ein paar Haare hätte ich trotzdem in die Ergebnissuppe zu streuen. Ist es unbescheiden, angesichts der Resultate über spielerische Qualität zu jammern? Sicher, solange der Gegner nicht gerade Mainz heißt oder 18 Millionen Euro für vier Offensivkräfte ausgegeben hat, punktet die Borussia mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks. Aber ebenso berechenbar ist allzu oft ihre Spielweise, und so gibt es wenig jener inspirierten Kombinationen und überraschenden Ideen, die das Herz des romantisch veranlagten Fußballfans erwärmen würden.

Wobei ja speziell im Land des Zweckrationalismus Ästhetik unter dem Generalverdacht des Überflüssigen steht, mit mancherlei fatalen bildungs- und kulturpolitischen Konsequenzen. Entsprechend verbreitet ist unter hiesigen Fußballfans die Neigung, zwischen schönem und erfolgreichem Spiel einen Widerspruch zu konstruieren. Der in Fußballdingen stets lesenswerte Jorge Valdano hat auch hierzu Kluges bemerkt: Niemand, schrieb der Weltmeister und ehemalige Trainer von Real Madrid, „gewinnt, weil er schlecht spielt, sondern obwohl er schlecht spielt. Oder soll man schlecht gespielten Fußball programmieren, um mehr Optionen auf den Sieg zu bekommen?“ Und später: „[M]ich stören die Ideologen des Unglücks, die Angst vor der Freude haben, die Schönheit verschmähen und das Wort ‚Spektakel‘ für subversiv halten. […] Wir wissen alle, dass die Niederlage ein Argument schwächt und der Sieg es stärkt, aber das löst die großen Widersprüche nicht, denn außer Ergebnissen haben wir es auch mit Freude und Emotionen zu tun. Der manchmal beabsichtigte Fehler liegt darin zu denken, dass die Absicht gut zu spielen ein Mangel von Verlierern ist. Wer spielt, strebt danach kreativ, glücklich und frei zu sein, die Fülle zu erreichen, die Solidarität in Anspruch zu nehmen, sich wieder in die Kindheit zurück zu versetzen, zu genießen, sich gehen zu lassen und einen Kampf auferstehen zu lassen, in dem Schönheit möglich ist.“ (Jorge Valdano, Über Fußball, S. 257f.) Schöner kann man den Gründungsmythos der Fohlenelf kaum beschreiben.

In diesem Sinne sehnsuchtsvoll grüßt:
Christoph

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