Montag, 20. Juni 2005

"alles in schutt und asche"

Neben dem Job auf dem grünen Rasen oder womöglich noch dem an der Seitenlinie gibt es einen weiteren Traum-Beruf im Fußball, besonders bei unseren VfLs: Den des Presse- und Medienchefs. Beim VfL in Mönchengladbach heißt der Mann Markus Aretz, und der VfLog hat sich mit ihm zum Gespräch getroffen. In vier Folgen lesen Sie von heute an, wo der VfL nächste Saison hin will, wie es zum Abschied von Dick Advocaat kam und wann Aretz in den letzten Jahren am meisten gelitten hat. (Teil 2 | Teil 3 | Teil 4)

Herr Aretz, am Anfang würden wir gern etwas über Sie persönlich erfahren. Manche Mutter fragt sich wohl, was sie falsch gemacht hat, wenn ihre Jungs sogar noch studiert haben, aber dennoch nicht vom Fußball wegzubringen sind und einfach keinen anständigen Beruf ergreifen... Was ist bei Ihnen schiefgelaufen, dass Sie bei Gladbach Medienchef wurden?

Das war völlig ungeplant. Eigentlich war ich durch meine Eltern sehr in Richtung Ausland geprägt, weil mein Vater bei der Bundeswehr war. Daher war ich als Kind viel im Ausland und wollte später unbedingt etwas mit Fremdsprachen machen. Deswegen bin ich nach dem Abi zum Auswärtigen Amt gegangen, habe die Diplomatenschule in Bonn besucht und bin dann im Anschluss auch an Botschaften gegangen. Irgendwann habe ich dann aber den Flash bekommen und mir gesagt: „Jetzt bist Du 24 und Beamter – zwar im Ausland, was superinteressant und spannend ist. Aber das kann noch nicht alles gewesen sein. Du möchtest noch studieren!“ Deswegen bin ich zurück nach Deutschland gegangen, habe gekündigt und in Köln angefangen, Politische Wissenschaften auf Magister zu studieren. Von Rumänien aus hatte ich in Mönchengladbach eine Wohnung gefunden, und eigentlich wollte ich nach einem halben Jahr nach Köln umziehen.
Aber wie das dann so ist: Freundin kennen gelernt, doch erstmal in Gladbach geblieben, dann über einen Job bei der Rheinischen Post mit Schreiben angefangen, eigentlich auch dort nicht zuerst mit dem Hintergedanken, unbedingt Sport machen zu wollen. Die brauchten aber zufällig gerade im Sport jemanden. Angefangen hat es, wie sowas immer losgeht, mit kleinen Fechtturnieren, Kreisligafußball und so weiter. Ich bin dann immer mehr da reingerutscht, habe richtige Redaktionsdienste gemacht, auch über Borussia Mönchengladbach geschrieben – und dann hat man mir ziemlich schnell ein Volontariat angeboten. Das habe ich angenommen und in Düsseldorf begonnen. Und nach einem Jahr Volontariat kam das Angebot, Sportredakteur zu werden. Dort habe ich das machen können, wovon man halt träumt, wenn man ein kleiner Junge und Gladbach-Fan ist: Erst träumt man davon, dass man selber Fußballer wird, dann sieht man irgendwann eines Tages ein, dass das nicht hinhaut. Und dann träumt man davon, da später irgendwie mit zu tun zu haben. Aber wie gesagt: Ich habe da eigentlich nie drauf zugearbeitet: Auf einmal war das eben so.
Außerdem hatte ich auch über Borussia geschrieben, war bei den Spielen immer dabei, und dann zeichnete sich ab, dass Borussia absteigt – im Winter 1999 stand das ja eigentlich schon fest. Im Frühjahr bin ich schließlich vom Präsidium angesprochen worden, ob ich mir vorstellen könne, Pressesprecher zu werden. Nach zwei Tagen Bedenkzeit war klar, dass ich das mache. Und dann war ich im Juni 1999 auf einmal Pressesprecher hier.

Auch wenn der Beruf im Fußball nie geplant war, Sie waren aber schon Fußballfan von Kindesbeinen an?

Ja, mein Vater war Gladbach-Fan, die Familie kommt aus Gladbach, ich bin in Mönchengladbach geboren. Mönchengladbach, das waren immer die Wurzeln, obwohl meine Eltern ständig durch die Weltgeschichte gefahren sind. Hier bin ich alle zwei Monate am Wochenende mit Mama und Papa hingefahren, und mein Vater hat das immer so gelegt, dass das an einem Spieltag war. Es war daher schon immer die Verbindung da.

Die richtig große Zeit des Vereins haben Sie aber wahrscheinlich nur als kleines Kind mitbekommen haben, oder?

Ja, ich erinnere mich da nicht mehr an viel, wo ich selber dabei war. Klar, vorm Fernseher habe ich viel gesehen. Ich weiß noch, dass ich da als kleiner Stöpsel immer um halb elf aufstehen durfte, wenn Europapokal kam – damals waren das ja noch die Zusammenfassungen. Und ich weiß auch, dass mein erstes Spiel im Stadion 1972 war, und zwar gegen Düsseldorf auf dem Bökelberg. Mein Vater hat mich da als kleines Kind immer mit hin geschleppt.

Stellen wir uns ganz kurz eine ganz furchtbare Welt vor, in der Fußball nie erfunden worden ist: Was wäre dann wohl aus Ihnen geworden?

Ich glaube, es wäre Richtung „politischer Journalismus“ gegangen. Da habe ich auch während des Volontariats mal meine Fühler ausgestreckt, die Rheinische Post hat ein Netz von Auslandskorrespondenten beschäftigt, und das hat mich schon sehr gereizt. Ich glaube, darauf hätte ich dann auch mehr hingearbeitet.

War das dann auch der Impuls, im Studium die Politikwissenschaft zu wählen?

Nicht so konkret. Damals, als ich das Studium angefangen habe, wusste ich ja noch nichts von Journalismus. Ich wusste schon, dass ich das gern ausprobieren würde. Aber als Berufsziel hatte ich das nicht. Ich hab mir damals einfach nur gesagt: „Du studierst jetzt was, das dich interessiert, das dir Spaß macht, und nicht etwas, von dem du meinst, das könnte dann in fünf Jahren mit deinem Berufsziel zusammen passen.“

Sie sind dann ja gewissermaßen Medienprofi auf der journalistischen Seite geworden und so bei Borussia gelandet. Nun wird allenorten eine Professionalisierung des Fußballs und der Kommunikationsarbeit festgestellt. Da gehört dann ja auch viel BWL und Management zu, gerade wenn man auch eine ganze Abteilung führt. Haben Sie das on-the-job gelernt?

Ich hab durch meine Zeit im Auswärtigen Dienst da einiges an Knowhow mitgebracht, weil man da gerade durch die eher bürokratische Ausrichtung viel lernt. Ich habe Verwaltungsabläufe kennen gelernt, habe gelernt, sich zu organisieren und auch Teams zu organisieren. Davon habe ich schon profitiert. Und on-the-job lernt man natürlich immer dazu.

Wie bewerten Sie denn allgemein die Professionalisierung des Fußballs? Die Medien werden immer aufmerksamer und präsenter und beobachten immer genauer. Was hat sich, auch in Ihrer Zeit hier, dadurch verändert?

Ich glaube, es hat sich sehr viel verändert im Bewusstsein der Vereine. Als ich 1999 angefangen habe, war dieser Prozess schon in vollem Gange, da hatte schon fast jeder Bundesligist einen Pressesprecher. Und inzwischen ist es ähnlich wie bei uns auch bei den meisten anderen Vereinen so, dass die Presseabteilungen ausgebaut wurden. Wenn man mal in die 80er Jahre zurückgeht, da hatten nur die Bayern einen Pressesprecher, den Markus Hörwick, der auch so eine Art Urgestein ist. Er war der erste in der Bundesliga, und die Bayern machen das natürlich auch perfekt. Sie hatten auch als erste das Bedürfnis, jemanden hauptamtlich einzustellen. Bei dem Rest der Liga ging das erst Anfang oder Mitte der 90er Jahre los, und das Medieninteresse hat gerade in den vergangenen zehn Jahren so rapide zugenommen, dass die Vereine ohne professionelle Medienarbeit auch gar nicht mehr leben können.

Wo stehen Sie denn in der Gladbacher Vereinshierarchie, und wieviel Mitspracherecht haben Sie auch vorab bei Entscheidungen? Können Sie sagen, „‚Leute, das ist vielleicht sinnvoll, aber kommunikativ nicht durchsetzbar“? Oder müssen Sie sozusagen rüberbringen, was auf den Tisch kommt?

Ich bin schon unmittelbar dem Präsidium und dem Geschäftsführer unterstellt, nehme auch regelmäßig an Präsidiumssitzungen teil und habe auch sonst einen engen Kontakt zum Präsidium, sehr engen zum Geschäftsführer und zum Sportdirektor. Wir reden also ständig miteinander, und ich gebe auch ständig meine Meinung ab. Ich sage auch zu jedem Thema, „Ihr solltet dies und das bedenken. Das kommt in der Öffentlichkeit so rüber. Hier können wir vielleicht entgegenwirken, aber da haben wir keine Chance.“ Ich will nicht sagen, dass ich da mitentscheide, aber ich glaube schon, dass meine Meinung bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt wird.

Zum Thema Professionalisierung gehört auch der Begriff der ‚Marke Borussia’, der auch vom Präsidenten gerne benutzt wird. Vor ein paar Jahren gab es im Prinzip die gleiche Diskussion für Parteien. Nach der Bundestagswahl 1998 wurde die SPD immer wieder mit dem Begriff ‚Marke’ in Verbindung gebracht, und ihre Anhänger waren empört darüber. Und heute sind es die Fußballfans, die sagen: "Unsere Borussia ist doch ein Verein und keine Marke." Ist Gladbach denn nun gleich Persil?

Das absolut nicht, das will auch keiner. Es ist einfach so, dass wir einen Präsidenten haben, der aus der Wirtschaft kommt und ein sehr erfolgreicher Unternehmer ist. Der weiß, was es bedeutet, ein Unternehmen zu führen, das ein gutes Markenprofil hat. Und genau das hat er bei Borussia Mönchengladbach vorgefunden. Hier hat eigentlich 1999 alles in Schutt und Asche gelegen, aber trotzdem war der Verein noch immer eine sehr, sehr gute, unverbrauchte Marke. Das bedeutet überhaupt nicht, dass man sich entfernen will von dem, was Fußball ausmacht, Stehplätze oder Fankultur abschaffen will. Aber Fußball ist nun einmal, zumindest in der Bundesliga, ein Geschäft geworden, bei dem viele Millionen umgesetzt werden, mit dem Werbung gemacht wird. Da ist es wichtig, dass man ein Profil hat. Und das merkt man auch in Verhandlungen mit Sponsoren oder Fernsehsendern – ob man das nun Markenprofil nennt oder sagt, das ist unser Mythos. Der Fan spricht von Mythos, der Präsident spricht von der Marke, aber eigentlich meinen sie das gleiche. Ich sehe diese Diskussion etwas entspannter, ich finde, da sollte man nicht allzu viel rein interpretieren.

Dortmund hat seine Markenrechte ja sogar verpfändet. Hat man in Gladbach mal ausgerechnet, was die Marke unserer Borussia wert ist?

Nein, nie. So etwas ist auch überhaupt nicht angedacht bei uns. Wir haben ganz bewusst kein einziges Recht mehr aus der Hand gegeben, im Gegenteil alles zurückgekauft im Lauf der Zeit, egal in welchem Bereich. Wenn ein Sponsor eine Bande kauft, dann landet das Geld zu 100% bei Borussia, weil wir uns komplett selbst vermarkten.

Letzte Frage zum Thema Vereine als Unternehmen: Wir haben auf dem VfLog auch schon das Thema Unternehmenskultur der Borussia diskutiert. Würden Sie so einen Begriff auch im Fußball akzeptieren und wenn ja, was wäre die Unternehmenskultur?

Ich glaube schon, dass es so was auch bei uns gibt. Hier wird ja viel von der Fohlen-Philosophie gesprochen, vom Mythos der Fohlen-Elf. Das sollte man auch nicht überstrapazieren, aber das ist schon etwas, was bei uns dahinter steckt: Underdog zu sein, Provinzstadt, die eigentlich nichts anderes hervorgebracht hat als einen erfolgreichen Fußballverein. Das steht bei vielen Menschen auch heute für Borussia Mönchengladbach, der kleine Verein zu sein, der mit innovativen Mitteln und mit anderen Mitteln als die der Großen mithalten kann. So wie das vielleicht im letzten Jahr auch Mainz verkörpert hat.
Auf diese Kultur sollten wir auch setzen, indem wir zum Beispiel die Nachwuchsarbeit noch verstärken. Es ist zwar eine Illusion, dass man heute im Profibereich nur mit einer guten Nachwuchsarbeit in der Bundesliga bleiben kann. Aber ein Verein wie wir, mit dieser Geschichte, dieser Philosophie, der sollte versuchen, jedes Jahr einen Spieler aus dem Nachwuchs hervorzubringen, der es schafft, einen Profivertrag zu bekommen. Das wäre schon sehr erfolgreich.
Darüber hinaus ist es auch ein Merkmal von Borussia, dass der Verein zwar vielleicht nicht gerade familiär, aber in jedem Fall sehr einfach und durchsichtig geführt wird. Bei uns soll es nichts geben, was der Fan nicht durchschauen kann, keine komplizierten Konstruktionen mit Tochterfirmen usw. Bei uns gibt es eine GmbH, in der der Lizenzspielbetrieb und das Stadion ausgegliedert sind, und dann gibt es den Verein mit den Jugendmannschaften, den Handball- und Tischtennisabteilungen – und das ist es dann auch. Die Struktur ist ganz einfach zu durchschauen, und soll es auch sein. Wir haben auch ein Präsidium mit nur zwei Mitgliedern, das gibt es auch selten in der Bundesliga – nicht kompliziert, und jeder weiß, woran er ist. Auch das macht Borussia aus.


Lesen Sie am Mittwoch, wie es zur Trennung von Dick Advocaat kam, ob sich Peter Pander von Christian Hochstätter unterscheidet und warum der idealistische Fan ein Belgier werden sollte.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sympathischer Mann... Gibt für Gladbach eine Beamtenkarriere auf, das ist ein anderer Geist als bei Marek Heinz! ;-)

Anonym hat gesagt…

und dann sagte der trainer: komm markus, zieh` deine sachen aus. jetzt geht`s los....


sorry, aber ich trau dem kollegen nicht!

Anonym hat gesagt…

Ich versteh Deine Skepsis nicht. Ich finds spannend, wie man in so einen Traumjob kommt. Planen kann man das sicher nicht... (Sonst würd ichs gern!)