Woche um Woche steht an dieser Stelle der Seitenwechsel, den wir uns mit den lieben Kollegen von Seitenwahl schreiben. Nur in dieser Woche, da stand er hier nicht. Denn Martin hat versagt. Immerhin steht er jetzt hier, quasi ex post. Und unsere asiatischen Leserinnen dürfen gespannt sein, in der nächsten Ausgabe viele Demuts- und Entschuldigungsfloskeln zu lernen. Heute aber gilt es Nachhilfe in Sachen Feiern uns Selbstbewusstsein zu nehmen. Wie das geht, weiß Joachim:
Lieber Martin,
ich bin empört. Meine Empörung resultiert daher, daß Du meinst, ein Klassenerhalt sei kein Grund zum Feiern. Falsch. Ich habe von einer früheren Chefin gelernt, daß kein Anlaß nichtig genug ist, um eine Flasche Champagner zu öffnen (sie war Französin – von Französinnen lernen heißt Feiern lernen, wie wir alten Preußen sagen). Natürlich, wenn man obskure Derivate nimmt wie Altbestände von Rotkäppchen-Sekt, die seit Hans Meyers Zeiten noch in den Katakomben des Borussia-Parks verrotten, dann magst Du recht haben. Ich saufe jedoch das, mit dem der Schumi immer feiert (bald wieder, wart's ab), daher sage ich Dir: "Santé!"
Natürlich weiß ich, woher Deine Entsagung kommt, und in gewisser Hinsicht verstehe ich Dich sogar. Als ich jung war, also als die Kanzler noch Helmut hießen und wir Island präventiv zerbombt hätten, bevor irgendein Vulkan Asche auf uns hätte spucken können, da gab es drei Arten von Spielzeiten. In einer guten Saison wurden wir Meister, in einer erträglichen spielten wir bis zum letzten Spieltag um die Meisterschaft mit, und in einer schlechten war bereits vorher der Titel nicht mehr drin. Heute gibt es ebenfalls drei Arten von Spielzeiten. In einer schlechten steigen wir ab, in einer erträglichen retten wir uns am letzten Spieltag, und in einer guten sind wir bereits vorher gesichert. Das ist sicherlich ein Rückschritt, aber innerhalb dieses Rückschritts stehen wir derzeit gut da.
Ich gestehe zu, daß man den Jubel auch nicht übertreiben muß. Auf dem Briefkopf stehen nach wie vor Titel und nicht Klassenerhalte, insofern haben wir in den vergangenen Monaten nicht gerade Sportgeschichte geschrieben. Es ist in diesem Zusammenhang übrigens instruktiv, sich geballt die Abschlusstabellen der letzten anderthalb Jahrzehnte anzuschauen, also seit wir zuletzt im Europapokal vertreten waren. In rund der Hälfte der Fälle standen wir so ähnlich da wie diesmal, also irgendwo zwischen 36 und 42 Punkten und auf oder knapp unterhalb von Rang 10. Irgendwie scheint dies inzwischen die Spitze der Fahnenstange für uns zu sein, und ich teile den Frust, der hieraus resultiert. Ich hoffe wohl, daß wir inzwischen so weit sind, endlich diese Grenze nach oben zu durchbrechen. Die nächste Saison wird das weisen.
Bis dahin aber feiere ich den Klassenerhalt durchaus, und dann fange ich an, mich über jeden weiteren Platz zu freuen, den wir nach oben klettern. Und jedes Mal öffne ich einen guten Schluck. Wer kurbelt in diesen Zeiten die Wirtschaft an, wenn nicht wir, lieber Martin? Wir, die wir überlegen, den FC Liverpool zu kaufen, der gerade auf den Markt gekommen ist, ihn aber erst mal zur Begutachtung vorspielen lassen, man vertraut ja schließlich seit Moris und Kahês Zeiten nicht mehr auf diffuse DVDs. Und so sage ich Dir: Gegen Bayern müssen drei Punkte her, dann ist feiermäßig alles paletti auf der Andrea Doria. Oder so.
Ich habe übrigens gerade entdeckt, daß der van Bommel gegen uns gesperrt ist, das ist genau die Position, wo wir bei Kontern… Das stecke ich jetzt mal ganz schnell dem Trainer, dann kann er sich schon mal auf unseren Sieg freuen. Ich muß also mal schnell weg, sonst erzählt ihm das der Typ von Fohlen-Herpes oder wie dieses famose Investigativ-Portal da heißt, und dabei habe ich es zuerst gewußt! Over and out,
Dein Joachim
Donnerstag, 22. April 2010
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