Juchu!! Dies ist immer noch der 100. Seitenwechsel! Beinahe jede Woche schreiben wir uns mit den lieben Kollegen von Seitenwahl Briefe über die Lage der Nation, d.h. der VfLs. Mike Lukanz und wir hatten vor dreieinhalb Jahren damit begonnen, mittlerweile hat sich Joachim Schwerin eingewechselt. Das Jubiläum feiern wir mit einer ausgiebigen Briefparty. Was bisher geschah: Mike hatte mal wieder vorgelegt und sich als alter Saufkumpan von Don Jupp geoutet. Maik, der alte Mann, wetterte über Gott und die Welt bei Seitenwahl. Nun folgt Teil drei an dieser Stelle, in der Joachim wieder das ganze große Rad dreht und Fußball mit Oper und Zwergenweitwurf vergleicht. Martin antwortet voll Demut und Bescheidenheit – auf Seitenwahl.
Lieber Maik, lieber Martin, lieber Mike (in alphabetischer Reihenfolge, kurz „liebe 3Ms“),
ich bin entzückt, um das Wort eines Stammesbruders von Wickie zu entlehnen, daß wir beim hundertsten SEITENwechsel angelangt sind. Wer schreibt heutzutage noch Briefe, sieht man vom Finanzamt, den Versicherungen und Tante Hilde ab? Ich finde es daher um so wundervoller, daß auch hier das Medium Internet nicht der Totengräber alter Bräuche ist, sondern sie vielmehr in modernisiertem Gewand fortentwickelt. Es ist das Verdienst der geschätzten Kollegen vom VfLog und gerade auch meines verehrten Mitstreiters Mike (der nicht nur selbst auf ansehnlichem Niveau Fußball gespielt, sondern auch sachkundig gelernt hat, wie man darüber schreibt, was ihn inzwischen gar entspannt mit Jupp Heynckes und Michael Frontzeck parlieren läßt, wer hätte das vor vier Jahren gedacht?), daß hier ein Format entstanden ist, das weiterbestehen wird.
Ist es nicht merkwürdig, daß sich erwachsene Menschen, erfolgreich im Beruf, mit vollen Terminkalendern und jeder Menge wichtigerer und ähnlich spannender Dinge zu tun, jede Woche zumindest eine Stunde Zeit nehmen, um über Fußball zu schreiben, auch wenn es fast niemand merkt? Nein, liebe Internet-Nichtversteher in den Uralt-Medien und zum Teil in den Vereinen, das hat nichts mit Besserwisserei zu tun. Es ist vielmehr der Drang, die Faszination, die Fußball auf uns selbst nach Jahrzehnten noch ausübt, zu verarbeiten, indem wir sie in Worte fassen (was wir besser können als ihr, so viel Realismus muß sein). Denn Fußball mag vieles sein, aber eines ist er nie: langweilig.
Nehmen wir zum Vergleich die Oper (ich könnte auch Zwergenwerfen nehmen, aber ich hatte zuletzt keinen Zwerg zur Hand). Ich gebe zu, daß ich mit fortschreitendem Alter durchaus die Vorzüge der Oper zu schätzen weiß: Man geht abends nett aus, kuschelt sich in den warmen Plüschsessel, köpft zur Halbzeit eine Pulle Schampus und läßt sich ansonsten von der dicken Frau vorne auf der Bühne besingen. Ich las kürzlich, daß La Traviata und die Zauberflöte zu den beiden beliebtesten Opern gewählt wurden. Zufällig habe ich beide in den letzten Monaten gesehen und muß sagen, daß ich diese Wahl nachvollziehen kann und im Laufe der Zeit erkenne, wie faszinierend es ist, das feststehende Werk, wie es ursprünglich in die Welt gesetzt wurde, sich durch Inszenierung, Bühnenbild und stimmliche Eigenheiten zu einem stets neuen, oft spannenden Ereignis entfalten zu sehen.
Und trotzdem, liebe 3Ms: Die Oper kommt an Fußball nicht heran, was vor allem daran liegt, daß man vorher weiß, wie es ausgeht. Ähnlich geht es mir etwa mit Fernsehkrimis – man weiß nicht nur, wie es endet, sondern es siegt stets das Gute, was weder faszinierend noch besonders realistisch ist. Wie anders ist der Fußball! Alles kann passieren, und oftmals siegt das Gute (also unsere VfLs) eben nicht.
Nehmen wir nur den derzeitigen Afrika-Cup, stets ein Höhepunkt und nie zu missen. Da führt Angola gegen Mali eine Viertelstunde vor Schluß und fängt sich noch vier Gegentore ein. Am nächsten Tag liegt Malawi gegen Algerien mit drei Treffern in Front, und trotzdem hat man jederzeit das Gefühl, die Partie könnte kippen, wenn der erste Gegentreffer fällt. Einmal passiert das „Wunder“ (das natürlich keines ist, sondern reine Psychologie), einmal nicht, und wir kleben vor dem Fernseher, fast als würden unsere VfLs gegeneinander spielen. Nein, auch mit der Abgeklärtheit des Alters darf man sagen, daß der Fußball unter den sinnfreien Freizeitbeschäftigungen unangefochten auf Platz eins liegt. Und deshalb verspüren erwachsene Menschen eben den Drang, mit ähnlich sachkundigen Bekloppten darüber zu reden, was bei uns aber halt durch Schreiben passiert.
Liebe 3Ms, ich wünsche daher uns allen, den sieben verbliebenen Lesern und den 1,5 Milliarden Teilnehmern des Online-Kurses „Wie spleche ich Bolussia Mönchengladbach aus?“ der staatlichen chinesischen Volkshochschule Roter Blechnapf noch viel Freude in der Zukunft und allzeit die Inspiration, mit eigentlich nichts ein halbes Dutzend Absätze zu füllen.
Euer Joachim
Donnerstag, 14. Januar 2010
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