Donnerstag, 4. Dezember 2008

seitenwechsel #71

Nummer 71. So viele Brand-, Schmäh- oder Liebesbriefe haben wir uns schon mit den lieben Kollegen von Seitenwahl geschrieben. Und wie Toni Schumacher fordert: Wir machen weiter, immer weiter. Diesmal wühlt Martin, wie immer, wenn es ihm schlecht geht, im Müll anderer Leute und animiert, wie weiland Werther, zum Selbstmord - alles nachzulesen bei Seitenwahl. Joachim mimt den treuen Liebhaber und fährt trotzdem BMW. Wie das zusammen passt, weiß nur er:

Lieber Martin,

Du spielst ja ein perfides Spiel – zitierst Du doch glatt aus alten SEITENwechseln, die kein Mensch gelesen hat. Ich übrigens auch nicht. Ich lese diesen komischen SEITENwechsel nie, da unterhalten sich nur zwei alte Säcke über Kamillentee, Rheumakissen und Klampfenheinis, das ist mir intellektuell zu hoch.

Mein Freund, ich schätze an Dir den revolutionären Geist, und wie jeder Revolutionär darfst Du Dich irren. Du musst es sogar, denn der Irrtum ist die Triebfeder der Revolution. Was wäre passiert, wenn Jesus nicht in jedem korrupten Politiker einen Freund gesehen, Karl Marx etwas von Ökonomie verstanden, Che Guevara nicht die südamerikanische Pampa mit den Feldzügen eines Alexander verwechselt oder Jürgen Klinsmann eine ordentliche Trainerausbildung hätte? Insofern sehe ich Dir nicht nur nach, dass Du in Deinem heiligen Eifer – bravo, juchze ich, mein Bester, bravo! – aber so etwas von völlig daneben liegst, nein, ich sporne es sogar an. Mach den Spielern Feuer unterm Hintern, iss Deine Pressekarte auf und vertausche alle Audis gegen Autos, die wirklich ein sportliches Fahrgefühl vermitteln (BMW!). Wundervoll!

Denn, lieber Martin, dies alles ist besser, als den Spielern und dem Verein Deine Liebe zu entziehen. Erstens kannst Du das gar nicht. Schau mal in Deine Fan-Gebrauchsanleitung, Kleingedrucktes, irgendwo ganz hinten: Du musst lieben und verzeihen, sonst kannst Du gleich zu den Bayern wechseln. Zweitens ist es den Spielern scheißegal, ob Du sie liebst oder nicht, mit wenigen Ausnahmen. Schau sie Dir an, wenn sie Deinen Blick erwidern: Siehst Du Verständnis in ihren Augen, spürst Du den Glanz erwiderter Liebe? Nein? Eben! Drittens aber, und das ist das Entscheidende, musst Du es einfach so sehen wie ich: Ich bin schön, habe Erfolg in Liebe und Beruf, umgebe mich mit den Mächtigen dieser Welt und bin gesund: Wenn jetzt noch mein Fußballverein erfolgreich wäre, wäre das des Guten zu viel. So viel Glück könnte ich nicht ertragen. Deswegen sage ich Dir, Martin, die MÜSSEN schlecht sein, sonst wäre das nicht auszuhalten, und es wäre nicht mein Verein.

Nur, Martin, sie müssen nicht ganz so schlecht sein wie gegen Cottbus. Ja, ich habe mir das Spiel betrachtet wie ein Vater die unbedarften Bemühungen seines Kindes auf dem Bolzplatz, und ich sagte zu mir selbst, leise, damit das Kind es nicht hört: Das ist wirklich nix. Ganz viel nix. Doch dann erinnerte ich mich an andere Kinder, sprich: andere Borussenteams, und ich sage Dir aufrechten Herzens: Die Abstiegsmannschaften 1998/99 und 2006/07 waren schlechter. Viel schlechter. Wenn ich mir überlege, welches das schlechteste Borussenteam aller Zeiten war, dann fällt mir sofort die Rückrundenelf 2006/07 unter Jos Luhukay ein. Im Vergleich dazu sehen wir derzeit elf griechische Götter auf dem Platz. Nicht, dass sie es schon verstehen, zusammenzuspielen, aber es erinnert manchmal entfernt an Fußball. Mehr dürfen wir nicht erhoffen, Martin, mehr wollen wir nicht erhoffen.

Mich interessiert in diesem Zusammenhang auch nicht, was in den Boulevardmedien oder einzelnen Fanforen derzeit abgeht. Panik ist das Recht der Liebenden, doch man muss sie nicht noch schüren. Viele müssten ohnehin ganz still sein; so war ich recht verwundert über den schlechten Besuch der Partie gegen Cottbus. Gegen Bayern ist die Hütte voll, aber in den Spielen, in denen es um die Wurst geht, bleibt ein Drittel der Leute schon mal aus Prinzip weg, und viele meckern gerade deshalb hinterher um so lauter. Das ist kein Support, das ist das Allerletzte, schlimmer noch als Radfahrer im Berufsverkehr oder Kleinsparer, die über Bankenbosse schimpfen und selbst das Sozialamt bescheißen. Gleiches gilt auch für manche Herren Journalisten und Sachverständige: Man sollte sie zwingen, mal drei Spiele unter Horst Köppels oder Jos Luhukays Mannschaft am Stück zu betrachten; Du wirst sehen, sie lägen vor Deinen Füßen und wimmerten, dass sie endlich wieder das heutige Team sehen wollten.

Natürlich gebe ich Dir recht, Martin, Bruder im Geiste, dass in der Winterpause nachgebessert werden muss, vor allem in der Abwehr, zentral und rechts. Das wussten wir aber schon vor der Saison. Ich habe auch ein paar Leute auf dem Zettel, etwa einen wundervollen jungen Rechtsverteidiger aus der zweiten Schweizer Liga, der seinen Weg gehen wird, oder ein, zwei Belgier, zu denen ich mich aber nicht äußern werde, auch weil ich weiß, dass Borussia derzeit sehr aktiv ist und hoffentlich das richtige tut. Somit sage ich Dir nur: Fahr zum Park, hilf mit, am Samstag die Pillen zu fressen, nimm dann Kloppo hoppo und freu Dich auf Weihnachten. Alles wird gut oder auch nicht, aber sei’s drum: Es ist und bleibt Deine Borussia!

Mit Grimm im Herzen, dass es im Borussia-Park kein alkoholfreies Jever mehr gibt, sondern nur diese Frankenbrühe, grüßt Dich mit erhobener Faust

Dein Joachim

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