Donnerstag, 30. Oktober 2008

seitenwechsel #67

Wie jede Woche haben wir uns auch diese Woche mit den lieben Kollegen von Seitenwahl einen unserer Brand-, Schmäh- oder Liebesbriefe geschrieben. Martin hat musikalisch und deprimiert losgelegt – auf Seitenwahl. Joachim hält mit kühler Analyse und Wandergitarre dagegen.

Lieber Martin,

ich bin immer wieder von Deiner Menschenkenntnis beeindruckt. So kennst Du einen Herrn Sills und einen Herrn Grebe, die mir beide nicht bekannt sind, obwohl ich ein genauso alter Sack bin wie Du und geistig nie die siebziger und achtziger Jahre verlassen habe – schon gar nicht, was Borussia betrifft, deshalb halte ich uns auch für einen natürlichen (wäre ich nicht Atheist, würde ich sagen: gottgegebenen) Teil der Bundesliga. Ich weiß natürlich irgendwo innerlich, daß das nicht stimmt, doch den Teil des Gehirns, der mir solchen Defätismus einflüstert, kujoniere ich regelmäßig. Im übrigen halte ich es eher mit Reinhard Mey, den ich hier allenfalls leicht abwandeln möchte:

Über den Abstiegsplätzen
Muß die Freiheit wohl grenzenlos sein
Alle Ängste, alle Sorgen
Sagt man
Blieben darunter verborgen
Und dann
Würde was uns groß und schrecklich erscheint
Plötzlich nichtig und klein.

(Schade, daß ich das nie überprüfen kann, aber ich hoffe, es stimmt…)

Ich war auch jahrelang der Ansicht, daß die Ligazugehörigkeit egal ist, bis wir letzte Saison dann tatsächlich in der Zweiten Liga waren. Natürlich ist es schön, auch mal ein Auswärtsspiel zu gewinnen, und von oben gesehen sieht die Tabelle irgendwie einschmeichelnd friedlich aus. Trotzdem kann ich mich über einen Erstligasieg mehr freuen als über fünf Zweitligasiege (der Wechselkurs eins zu fünf dürfte wohl in etwa den Tatsachen entsprechen). Zudem meine ich, daß die Zweite Liga ohnehin längst in der Bundesliga angekommen ist. Hättest Du vor der Saison die acht schlechtesten und zehn besten Mannschaften benennen müssen, hättest Du wohl präzise und ohne jeden Fehler die Teams genannt, die derzeit tatsächlich auf Rang elf bis achtzehn bzw. eins bis zehn liegen. Ja, unter den Top Ten einschließlich Hoffenheim (freilich ohne sie gleich auf Platz eins zu hieven), denn die Story vom Dorfverein, der auf den Nachwuchs setzt, ist natürlich zu weiten Teilen ein Märchen, schaut man sich ihre Ausgaben und Strukturen genauer an. Ich sage „zu weiten Teilen“, weil die Tatsache, daß Marvin Compper inzwischen gar Kapitän ist, wirklich ein Märchen ist, aber eines, über das ich mich immens freue. Ich erinnere mich, wie ich vor gar nicht allzu langer Zeit bei der U20-WM ein Doppelinterview mit Marcell Jansen und ihm gemacht habe, da stand er in der öffentlichen Wahrnehmung und auch bei Borussia ganz klar im Schatten von Marcell, wenngleich er im Gespräch einen ebenso ambitionierten, selbstbewußten und professionellen Eindruck hinterließ wie sein damaliger Vereinskamerad. Nun hat Marcell Jansen einen, sagen wir es vorsichtig, leichten Karriereknick und muß sich erneut beweisen (viel Glück dabei!), während Marvin die Mannschaft des Bundesliga-Ersten anführt. Sachen gibt’s…

Doch zurück zu Borussia. Ich will hier jetzt gar keine Platitüden verbreiten von wegen „Hätte Borussia einen Spieler wie Compper gehalten!“ oder so ähnlich. Hinterher bist Du immer schlauer, wenngleich der Spieler dem Verein deutlich zu verstehen gegeben hatte, daß er sich durchaus selbst als Innenverteidiger sieht. Borussia Cheftrainer sahen das anders, das ist ihr gutes Recht. Ich bin nicht regelmäßig beim Training, ich spreche auch nicht täglich mit den Spielern, also muß ich als Beobachter Personalentscheidungen zunächst einmal hinnehmen, denn die Grundannahme ist, daß das wohl alles einen Sinn hat. Nur müssen dann eben auch die Folgen eintreffen, sprich die Ergebnisse stimmen. Bei Borussia stimmt die Personalplanung beispielsweise in der Abwehr – und hier nenne ich mal ausdrücklich das Scouting, das mir für einen Bundesligisten doch reichlich ergebnisschwach vorkommt – absolut nicht. Ich muß hier gar nicht auf die von Dir angeführten Elfmeterrekorde oder die Gegentreffer anspielen, sondern ein kurzer Blick auf die gesamte Struktur genügt vollkommen. Der beste Abwehrspieler ist ein Linksverteidiger, der aus purer Not plötzlich in die Zentrale rückte, ansonsten herrscht eine Durchschnittsqualität vor, die eben zweitklassig ist. Und dann steht man eben da, wo man jetzt steht. Man muß gar nicht weiter in die Gründe abtauchen, wenn Du Dir nur die Farce um die Besetzung des Rechtsverteidigerpostens anschaust, ein Problem, das seit etlichen Monaten manifest ist, dann weißt Du, wo es bei diesem Verein hakt.

Lieber Martin, während ich all dies aufzeichne, habe ich gerade unbemerkt von mir selbst eine ganze Tüte Gummibärchen gefuttert (nicht die hartleibigen kleinen, für die ein abgetakelter TV-Moderator wirbt, sondern die saftig dicken und dabei gesunden aus der Apotheke). Bevor ich platze (der Schrank ist voll mit weiteren Tüten), komme ich besser zum Schluß und sage Dir: Schmeiß die Relegationsspiele auf den Müll und vertrau darauf, daß wir genug Heimspiele gegen die anderen Gurken der Liga gewinnen, um auf Platz fünfzehn zu landen. Ich hasse Relegationsspeile, denn sie sind unsportlich, entsprechen aber leider dem Geist der Zeit: Aus den Pokalwettbewerben werden zunehmend Ligaspiele gemacht, dafür bekommt die Liga am Ende der Saison plötzlich Pokalspiele. Nein, dann lieber klare Entscheidungen nach dem 34. Spieltag und für uns erst mal drei Punkte gegen Frankfurt, was für Platz fünfzehn schon mal reichen sollte.

Für guten Fußball Dich auf das Team von Horst Wohlers verweisend verbleibe ich für heute in aufrichtiger Oldie-Solidarität

Dein Joachim

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