Erzählte ich schon, dass meine Mama und mein Papa WM-Karten für das Spiel Schweiz-Südkorea 'gewonnen' haben? Südkorea wohlgemerkt. Das fordert einen achten Teil unserer VfLog-Rückschau geradezu heraus!
Angelehnt an die schöne WDR-Tradition, die 'Tageschau vor 20 Jahren' zu reanimieren, weil die alten Bänder einfach zu schön sind, um sie in den Archiven vergammeln zu lassen - diese Stücke sind immerhin holde Fernsehgeschichte -, widmen auch wir uns in unregelmäßigen Abständen unserer Best-of-Serie.
Heute: "Kleiner Mann? Noch im Abschied zeigt Advocaat mehr Größe als alle Kritiker" vom 18. April 2005:
An seinem ersten Tag am Niederrhein ließ Dick Advocaat in einem Pressegespräch durchblitzen, wie humorvoll er sein kann. "Horst Köppel kann ich nicht mehr übertreffen. Das waren bereits 100 Prozent", verkündete er in Anspielung auf den Sieg gegen den FC Bayern, den die Fohlen unter dem Interimscoach errungen hatten.
Schon diesen Satz hat in Gladbach leider niemand richtig verstanden: Es war ein Witz. Natürlich ist der international erfahrene und erfolgreiche Advocaat ein völlig anderes Kaliber als der damalige Amateurcoach der Fohlen, traute sich sicherlich auch einiges zu. Umso charmanter die großzügige Sentenz des Holländers, die jedoch schon nach kürzester Zeit doppelt in Frage gestellt wurde. Zweifel hatten viele gleichermaßen an Advocaats Humor wie an seiner Kompetenz, besser zu arbeiten, als etwa ein Horst Köppel dies kann. Heute trat der Unverstandene zurück und wird ab sofort von seinem Vorgänger beerbt.
Der Advocaatsche Rückzug ist eine große Tat, die einmal mehr beweist, was für ein Format dieser nur äußerlich kleine Mann hat – und vielleicht wird wenigstens im Abschied dem einen oder anderen klar, welch große Figur den Verein heute verlassen hat. Am Samstag abend noch verkündete Hochstätter nach einer Vereins-Krisensitzung, in der aktuellen Konstellation weiterarbeiten zu wollen. Es ist nicht allzu gewagt zu vermuten, daß zumindest Hochstätters Festhalten am Trainer vor allem dadurch motiviert war, daß eine Entlassung Advocaats fast zwingend seine eigene Demission zur Folge gehabt hätte.
So hat Advocaat nun die Unabhängigkeit und den Mut bewiesen, allein den Schritt zu tun, den die Funktionsträger des Vereins sich nicht getraut haben. Er befreit damit Mannschaft und Club von einer Unruhe, für die er selbst mehr Anlaß als Ursache war. Einmal mehr hat damit nicht zuletzt die Gladbacher Medienlandschaft mit beispielhaftem Kampagnenjournalismus Erfolg: Angesichts der Stimmung im Umfeld des Vereins und der unglücklichen sportlichen Situation wird sein Abgang wohl tatsächlich eine zumindest kurzfristige Verbesserung der Atmosphäre im und um den Nordpark zur Folge haben. Obendrein verzichtet Advocaat auf jede Abfindung – und straft damit all die bösen Hetzer Lügen, die ihm unterstellten, um eines schnöden Handgeldes willen den Karren Gladbach gegen die Wand zu fahren und "förmlich um seine Entlassung zu betteln", wie es mancherorts hieß.
Sportlich ist der Abgang Advocaats ein Verlust, davon sind wir nach wie vor überzeugt. Vielleicht war es auch einfach der falsche Zeitpunkt zwischen ihm und Borussia, vielleicht hat man in Gladbach mit seinem Namen zu schnell an die Champions-League-Spiele der Zukunft gedacht statt an den Abstiegskampf der Gegenwart. Doch möglicherweise sagt es auch mehr über den VfL, die Bundesliga und die Anforderungen eines allumfassenden Medienzirkusses aus als über den kompetenten aber verschwiegenen Holländer, daß er nie so recht die Chance hatte, bei der Borussia seine Kompetenzen zu beweisen; denn nie konnte er in Ruhe arbeiten.
Für den Verein sind die nächsten Wochen entscheidend. Die Floskeln von den der Mannschaft nun fehlenden Ausreden ersparen wir uns: Es geht um den Klassenerhalt wie zuvor, und jeder Profi weiß das. Da ist es fast egal, ob Horst Köppel nun als "Interimscoach" antritt und noch in dieser Saison abgelöst wird oder vorerst unbefristet das Training übernimmt. Besser als die bereits ungebeten sich anbiedernden Matthäus und Effenberg ist er allemal. Wünschen wir ihm also viel Erfolg. Und sagen wir Dick leise Servus, dem großen, kleinen Holländer, dem sympathischsten Trainer am Niederrhein seit Hans Meyer: ein Mann aus einem vergangenen Jahrhundert, der im Zeitalter der Arenen, der Millionenetats und Medienmaschinerien mit der besseren Welt, die er verkörpert, wohl untergehen mußte.
Samstag, 21. Januar 2006
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