Nummer 60. So viele Brand-, Schmäh- oder Liebesbriefe haben wir uns schon mit den lieben Kollegen von Seitenwahl geschrieben. Und das beste: Wir setzten noch einen drauf! "Weiter machen, immer weiter machen", wie Jens Lehmann so schön sagt. Unser altes Swingerclub-Motto gilt dabei auch in der neuen Saison: Alles kann, nichts muss.
Doch weil ohne ein bisschen Tränendrüse auf Dauer selbst die größte Institution nicht überlebt, haben wir gestern im Rahmen eines Abschiedsspiels im BorussiaPark gemeinsam mit 50.000 Fans unserem langzeitigen Weggefährten Mike Lukanz adieu gesagt. Er macht mal eine Zeitlang was anderes.
Mit großem Hallo begrüßen wir seinen Nachfolger mit der Rückennummer, ähem, 60: Joachim Schwerin. Er staubt bei seinem Debut unsere Computer ab, Martins dankt in artiger Weinlaune bei Seitenwahl.
Lieber Maik, lieber Martin,
ein neuer Spätsommer, eine neue Liga, dennoch ist alles irgendwie wie gewohnt. Oder doch nicht? Was für unsere VfLs noch eine offene Frage ist, gilt für den SEITENwechsel mit Gewissheit. Nicht Mike führt ihn mit Euch fort, denn ihn zog es in die große Welt hinaus, und er wird nun feststellen, ob seine Welt eine Scheibe oder eine Kugel ist. Ist sie eine Kugel, wird er hoffentlich eines Tages hier wieder angesegelt kommen, und wenn wir ganz viel Glück haben, schreibt er dann auch erneut Briefe an Euch. Unser Wunschkandidat für seine Nachfolge war Udo Lattek, doch der fand im Vorstellungsgespräch den Humor der SEITENWAHL-Redaktion zu trocken. Somit galt es, schnell noch einen Ersatzmann zu finden, der blaue Pullover mit Original-Schweiß aus den goldenen Siebzigern besitzt und jahrelang Borussia erfolgreich trainiert hat (zur Not auch virtuell). Somit hat man mich aus der Gruft geholt, damit wir hier auf eine Art über Fußball erzählen, die auch für die Ich-AG, die Eure PCs im Büro abstaubt, kurzweilig ist. Unmöglich, sage ich, zumal Mike inzwischen Fußstapfen hinterlässt, in denen Horden von Boulevardreportern Lagenstaffeln schwimmen könnten. Nun ja, die einzige Anforderung Eurerseits ist bekanntlich, dass ich mich dem gemeinsamen Ziel verpflichtet fühle, ein gemeinsames Champions-League-Finale unserer VfLs herbeizusehnen. Tue ich. Knapp drei Jahre braucht es noch: Bis dahin vertreiben wir uns lesend und schreibend die Zeit.
Doch ach, meine lieben Osnis unter den VfLoggern, lasst mich gleich mit der größten Krise beginnen, die wir in diesen Jahren haben werden. Was musste ich im ansonsten wie immer vorzüglichen Interview-Marathon mit dem lilanen VfL-Trainer lesen? Da wirft der an dieser Stelle emotional unrunde Pele Wollitz die TuS aus Koblenz – der Stadt mit den vielen Borussen-Fans an Rhein und Mosel, die auch meine Heimat ist – mit dem 1. FC Kaiserslautern in denselben Unsympathen-Topf, und Ihr kocht damit auch noch ein fieses Spaß-Süppchen. Pfui! Wisst Ihr denn nicht, dass es für einen Koblenzer die größte denkbare Beleidigung ist, mit den Kartoffeln aus dem Pfälzer Schmuddel-Sumpf verglichen zu werden? Früher hätten wir das ja in Preußen (Koblenz war Hauptstadt der preußischen Rheinprovinz, wie Ihr wisst, nicht Köln oder Düsseldorf, und Preußen sind wir als Gladbacher Borussen auch vom Namen her automatisch) so geregelt, dass ich einen von Euch morgens um sechs auf dem alten Bahnparkplatz an der Bremer Brücke zum Duell gefordert hätte, mit Waffen Eurer Wahl. Nun, heute sind wir viel kultivierter als früher. Als Original-Brainwashed-Zwanziger verachten wir jede Gewalt sowie ihre Androhung und ahnden schon die literarische Andeutung derselben mit lebenslangem Stadionverbot. Also flöte ich hiermit DFB-pazifistisch: IschmachEuschplatt und erwarte einen von Euch morgens um sechs auf dem alten Bahnparkplatz an der Bremer Brücke zum Duell, mit Waffen Eurer Wahl!
(Nun ja. Ich bin so bald nicht in Osnabrück. Führen wir also solange diesen SEITENwechsel als Dialog fort, bevor einer von uns ins Gras beißt und ich hier Monologe schreiben muss.)
Koblenz hat aber auch aus einem ganz anderen Grund mit unserem Thema zu tun, also unseren VfLs. Ich weilte neulich dort, um dem Testspiel meiner Borussia bei der TuS beizuwohnen. Ich sage es ungern, aber hinterher ging es mir besser, weil meine Borussia endlich mal wieder verloren hatte. Ich begann nämlich bereits, mich wie ein Bayern-Fan (prä-Klinsmann) zu fühlen: Zweitliga-Meister, Testspielsiege gegen internationale Erstligisten nach Belieben, es war nicht mehr zum Aushalten. Langsam schlich sich so eine Prosecco-Großkotz-Haltung ein: Bringt uns Chelsea oder Inter, egal, hauen wir alles weg! Diese ganze Siegerei konnte einen wirklich wuschig machen. Auch das besagte Spiel schien so weiterzugehen: Die TuS versemmelte fünf Riesenchancen in der ersten Halbzeit, von denen man später auf Fohlen-TV keine zu Gesicht bekommen würde (stand Euer journalistischer Anspruch noch im Stau, liebe Kollegen bei Borussia?), und in der zweiten Halbzeit dümpelte das Geschehen weiter so vor sich hin. Dann aber geschah es – Jos Luhukay wechselte Tobias Levels ein, und der schoss umgehend ein Eigentor. O Wonne und Verzückung, ich fühlte mich sofort wieder wie zu seligen Bundesliga-Zeiten. Weg war der böse Bayern-Fluch, denn das war wieder meine alte Rumpel-Borussia, an die ich mich viele Jahre so gewöhnt hatte. Sogar Marko Marin vergaß daraufhin das Fußballspielen und wollte sich mit einem TuS-Verteidiger prügeln, der ihn wohl arg provoziert hatte – nur dass der TuS-Spieler das gar nicht merkte, denn in den Höhen, wo dessen Nervenbahnen erst anfingen, hatte Marin bereits zu wachsen aufgehört.
Gut so, denn wir müssen uns der Bundesliga ohnehin mit liebenswürdiger Bescheidenheit nähern. Wir sind Aufsteiger, und da sich die anderen beiden Liga-Neulinge keineswegs weniger stark als wir verstärkt haben, um das sehr zurückhaltend zu formulieren, liegen wir auf der papiernen Anspruchsskala derzeit eher bei Rang 18 als anderswo. Nicht dass das meine Saison-Prognose wäre, meine lieben Freunde (allein schon, weil wir ja nächste Saison gemeinsam mit dem VfL Osnabrück Bundesliga spielen wollen, denn wie sonst könnten wir in drei Jahren oben erwähntes Champions League-Finale zelebrieren?). Doch wer nach den keineswegs verheerenden Niederlagen gegen Schwaben-Staudten und Baden-Hoppser schon wieder die eigenen Ansprüche als weit verfehlt ansah, leidet am Köln-Syndrom. So ziehe ich als erste Bilanz, dass wir uns auf das Positive konzentrieren sollten und dass das, was man gegen Bremen sah, das Beste war, das wir seit langem geboten bekommen haben. Damit lässt sich an dieser Stelle prächtig eine Bouteille Cabernet Sauvignon, Tafelberg-Osthanglage, köpfen. Gleiches rate ich Euch, lieber Maik und lieber Martin, zumal auch Osnabrück bislang in jeder Zweitliga-Partie munter für Unterhaltung sorgte, immer mindestens zwei Tore schoss und alle dortigen Fans somit ebenfalls berechtigt sind, die Länderspielpause beschwingt anzugehen!
In diesem Sinne mit keineswegs korkigem Gruß,
Euer Joachim
Mittwoch, 3. September 2008
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