Nummer 62. So viele Brand-, Schmäh- oder Liebesbriefe haben wir uns schon mit den lieben Kollegen von Seitenwahl geschrieben. Und wie Walter Junghans fordert: Wir machen weiter, immer weiter. Unser altes Swingerclub-Motto gilt dabei auch in der neuen Saison: Alles kann, nichts muss. Martin hockt diesmal bangend auf einer Holzkiste und backt Pustekuchen - natürlich bei Seitenwahl. Joachim antwortet - und trinkt dabei, ganz Purist, Kamillentee.
Lieber Martenng,
ja, ich weiß, wie schwierig es ist, nach einem weinseligen Urlaub (und ich spreche hier nicht von Deiner Reaktion nach dem letzten Borussia-Spiel) in den Alltag zurückzufinden. Ich machte vor ein paar Wochen Urlaub in Südbaden, in Sichtweite der Schweiz, und fühlte mich wie auf einem anderen Planeten. Das Aufregendste, was ich dort sah, waren ein paar Schweizer Zweitligaspiele, das sagt alles – wobei ich das Niveau dieser Spiele hier nicht runterreden möchte, außerdem war die Wurst phantastisch, und ich traf sogar Gladbach-Fans in der Diaspora; was will man mehr? Als ich aber nach Hause zurückkehrte, bekam ich gleich schlechte Laune. Die Arbeit hatte sich nicht von selbst erledigt, ich mußte genauso früh aufstehen wie vor dem Urlaub, und jeder erwartete, ich solle nun gut gelaunt und bestens erholt sein, nur um mich im Falle einer zustimmenden Antwort auf ihre entsprechende Frage gleich mit irgendeinem Schrott zuzumüllen. Nein, Urlaube sind ein Fehler im System: Man sollte sie entweder ständig machen oder gar nicht.
Apropos Fehler im System. Ich saß Anfang der Woche im Büro und wartete auf den Brief von Dir, der aber noch nicht kam, da dachte ich mir, vertreibst Du Dir halt die Zeit mit ein paar Finanzspekulationen. Es war gerade Newcastle United auf dem Markt, und wozu hat man Freunde bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau? Ich entwickelte also mal schnell einen Businessplan (Bierpreise im Stadion runter, Fanartikelpreise hoch, das funktioniert bei den Engländern immer), feilte an der Corporate Identity (Alan Shearer reaktivieren) und suchte nach Synergien (Fusion mit Hull City und Sunderland, da kann ich zwei Drittel der Spieler einsparen und habe immer noch eine Mannschaft). Die Jungs von der Kreditanstalt waren gleich begesitert, doch was passierte dann? Die überweisen doch glatt die 300 Millionen aufs falsche Konto! Es war nur ein dummer Zahlendreher bei der Kontonummer, doch erklär das mal dem Steinbrück. So ging das Geld nicht an mich, sondern an Lehmann Brothers, und der Rest ist bekannt. Ich bin etwas betrübt wegen Per Steinbrück, der ja bekanntlich Borussia-Fan ist und dem ich nach dem 1:5 in Hannover gerne weitere Aufregungen erspart hätte. Andererseits, sehen wir das doch mal so: Das sind nun wirklich global gesehen Peanuts. Kein Chinese streckt heute noch nach 300 Millionen den kleinen Zeh aus, insofern ist doch eigentlich gar nix passiert.
Eigentlich gar nix passiert ist auch bei Borussia. Weltweit wankt das Finanzsystem, Steinmeier wird Kanzlerkandidat (man weiß gar nicht, was schlimmer ist), und bei Borussia regen sie sich auf, weil Gohouri irgendwelche Arzt- oder Rehatermine schwänzt. Wo bleibt da die Verhältnismäßigkeit? Erstens weiß der Gohouri gar nicht, was ein Arzt oder die Reha ist. Wenn der sich ein Bein bricht, humpelt er zum nächsten Baum, bricht einen Ast ab, schient sich den Knochen und spielt weiter. So einer soll zur Reha? Und zweitens, selbst wenn er das wollte und auch wüßte, wo die Reha ist (Stadion am Borussia-Park, dritter Stock), da käme er doch gar nicht hin. Schließlich sehe ich da immer diese Hostessen vor der Treppe stehen, die Dich nur durchlassen, wenn Du das richtige Farbkästchen auf Deiner Akkreditierung hast. Bestimmt hatte der Gohouri seine Akkreditierung vergessen, und dann haben sie ihn nicht reingelassen (besonders diese kleine Brünette am Aufgang zum ersten Stock hat eine Nahkampfausbildung beim Bund gemacht, die lacht zwar immer nett, aber trau ihr nicht!). Kurzum, vergessen wir das Ganze einfach. Wer im letzten Spiel unsere Innenverteidigung gesehen hat, weiß, daß wir jeden Mann brauchen, ob rehabilitiert oder nicht.
In dieser Situation suchst Du Hoffnung, lieber Martenng? Das kann ich gut verstehen. Und ich kann Dir welche machen. Die Mannschaft hat bei der Klatsche in Hannover deutlich besser gespielt als bei nahezu allen Spielen der letzten Abstiegssaison, die man zumeist wesentlich knapper verloren hatte. Sie war jedoch bemerkenswert naiv und ließ sich halt permanent auskontern. Außerdem kam nun wirklich einiges zusammen: Die Tore (gerade das 2:0 und 3:0) zum dümmsten Zeitpunkt, anderthalb sehr fragwürdige Elfmeter (man muß als Schiedsrichter sehr markus-merkwürdig veranlagt sein, wenn man bei 4:1 nach so einer Aktion kurz vor Schluß auf den Punkt zeigt), der frühe Ausfall Paauwes und dazu das Fehlen von erfahrenen Leuten gerade im offensiven Mittelfeld. Ja, ein Trainerrausschmiß ist immer reizvoll, genau wie das Verbrennen von ein paar Millionen zur Winterpause, aber vorher würde ich doch vorschlagen, daß man die Jungs einfach mal ein paar Wochen fußballspielen läßt. Den Nationaltrainer von Luxemburg und einen dortigen Abwehrspieler können wir auch später noch verpflichten, das eilt nicht. Natürlich fresse ich gerne meine eigenen Worte auf, wenn das in ein paar Wochen nicht anders aussieht, aber bis dahin darf man auch mal geduldig sein.
Aus eine Badewanne gefüllt mit Kamillentee (Erkältungszeit!) grüßt
Dein Joachim
Donnerstag, 18. September 2008
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen