Donnerstag, 25. Februar 2010

seitenwechsel #106

Eines Tages, wenn Facebook verboten ist, die letzte Twitter-Message verfasst, die letzte SMS geschrieben ist, wird es doch immer noch Briefe geben. Zumindest den Seitenwechsel, den wir uns seit Urzeiten mit den lieben Kollegen von Seitenwahl schreiben. In 106. Ausgabe unserer Wochenschau über die Lage der Nation, d.h. der VfLs, tut Martin mal wieder so, als würde er sich mit klassischer Musik auskennen, peinlichst nachzulesen bei Seitenwahl. Joachim ödet das nur noch an - schreibt er in seiner Antwort:

Lieber Martin,

zunächst einmal gehe ich in Sack und Asche, denn in meiner Vorschau auf das Hoffenheim-Spiel im letzten SEITENwechsel habe ich tatsächlich die Möglichkeit eines Unentschiedens vernachlässigt. Maik und Du hatten daher recht: Das Ergebnis war nicht weiß oder schwarz, sondern grau. So grau, daß man darüber trefflich tagelang reden konnte, und nicht zuletzt der Schiedsrichter bekam dabei ausgiebig Kritik zu hören. Ich möchte ihn an dieser Stelle aber in Schutz nehmen, denn ich habe beim Betrachten des Spiels in Echtzeit nahezu jede strittige Szene so gesehen wie er. Allenfalls könnte man noch argumentieren, seine Assistenten an der Linie hätten bei mancher Szene besser aufpassen müssen, doch auch das gilt nur begrenzt. Nimm beispielsweise das Handspiel, daß zum Elfmeter für uns führte: Wird ein Ball schnell und steil in die Spitze gespielt, kann der Assistent normalerweise nicht auf gleicher Höhe des Geschehenes (hier des Handspiels) stehen, und wenn er versetzt steht, ist es immer schwierig, den genauen Ort des Handspiels zu lokalisieren.

Ich möchte diese Diskussion hier gar nicht weiterführen, denn sie ödet nur noch an. Gestehen wir den Schiedsrichtern zu, daß sie ihr Bestes geben, aber das reicht eben nicht mehr. Die technischen Hilfsmittel, um dies zu korrigieren, stehen zur Verfügung, und daß Ralf Rangnick nach dem Spiel ihren vermehrten Einsatz gefordert hat, ist recht, aber gleichzeitig auch billig, denn man sollte nicht nur dann nach dem Videobeweis rufen, wenn man sich selbst benachteiligt fühlt, sondern ein Konzept entwickeln, ihn in den entscheidenden Gremien endlich durchzusetzen. Sein Vorschlag, auch in dieser konkreten Form, ist ja keineswegs neu; sowohl in unseren Beiträgen als auch unserem Forum hatten wir diese Diskussion über eine begrenzte Anzahl von Time Outs des öfteren. Vielleicht werden eines Tages die Bayern dreimal hintereinander benachteiligt, dann ergibt sich wohl doch noch ein Fortschritt, sonst eher nicht.

Überhaupt „Video“: Du sprichst von Videos, um Wintersportereignisse bei Olympia aufnehmen und anschließend zu klassischer Musik abspielen zu können. Immerhin schaffst Du kurz darauf den technischen Sprung zu DVDs, denn ich habe meinen Videorekorder kürzlich verschrottet. Es wird Dich kaum verwundern, daß ich (inzwischen zwei) DVD-Rekorder inzwischen ständig benutze, um alle möglichen Sportereignisse zu programmieren und sie anschließend neuen Formen des Konsums zuzuführen. Bei Olympia bietet sich das ohnehin an, denn ich schlage mir nicht ganze Nächte um die Ohren, wenn ich morgens innerhalb einer Stunde die entscheidenden Ereignisse gemütlich bei Kaffee und Kroßängs genießen kann. Letzet Nacht beispielsweise hätte ich ansonsten schlaftrunken verfolgen müssen, wie der Riesenslalom wegen Nebels ausfällt und unsere Bobfahrerinnen Karambolage spielen. Das muß nicht sein.

Das Beste am DVD-Spieler ist aber der Knopf zum Beschleunigen des Bildablaufs. Nahezu den gesamten Afrika-Cup habe ich in zweifacher Geschwindigkeit gesehen, für Europapokalspiele von Hertha BSC bietet sich sechsfache Geschwindigkeit an, und Spiele des 1. FC Köln schaue ich grundsätzlich 24mal verschnellt, dann sieht das wenigstens von der Dynamik her halbwegs nach Fußball aus. Das einige Team, für das das nicht geht, ist Borussia, denn diese Spiele muß ich live oder allenfalls bei Fohlen-TV kurz nach Abpfiff sehen (und selbst dann kämpfe ich mit mir, schnell doch schon mal aufs Ergebnis zu schauen). Wenn es wirklich um etwas geht – also nicht den ÄffZeh verlieren zu sehen oder olympische Medaillen zu zählen –, dann hört der technische Spaß eben ganz schnell wieder auf.

Lieber Martin, bevor ich mich daran begebe, den Zeitplan für das Abendessen vorzuverlegen, weil der zweite Durchgang des Riesenslaloms jetzt für 18.30 h terminiert wurde, komme ich nicht umhin, erneut Deinen Konsum bewußtseinserweiternder Kräutertees zu kritisieren. Du sprichst permanent von Wolfsburg, auch bezüglich des Spiels am letzten Freitag. Kein Wunder, daß wir nicht gewinnen, wenn Du uns gegen das falsche Team die Daumen drückst. Und was Maiks durchaus naheliegenden Vergleich mit den richtigen Wolfsburgern betrifft, so möchte ich nicht unerwähnt lassen, daß primär nicht dieser Retortenverein, sondern Felix Magath die Meisterschaft gewonnen hat. Das sieht man unschwer daran, wie sie dieses Jahr spielen. Vielleicht wird er gar der erste Mentalcoach seit Jesus, der die Schalker zum Erfolg führen kann, wer weiß.

Natürlich hätte ich nichts dagegen, wenn auch wir mal aus Versehen Meister würden, so wie das Stuttgart regelmäßig alle rund zehn Jahre schafft. Lieber ist mir aber ein geruhsamer Aufbau, der nicht sofort wieder zum Niedergang führt: deutscher Meister 2018 (dann habe ich einen runden Geburtstag), Champions League-Sieger 2033, denn im Ruhestand kann ich regelmäßig auch mittwochs größere Auslandsreisen unternehmen, und 2051, kurz bevor ich den Löffel abgebe, der Sieg im erstmals ausgetragenen interplanetaren Cup gegen die Mars Rovers. Letzteres nehme ich dann auf (DVDs wird es dann nicht mehr geben, aber irgendwas wird neu erfunden sein) und spiele es zum Soundtrack von Stanley Kubrick’s 2001. Dazu ein frisches Jever (hier könnte auch IHRE Werbung stehen) und eine Packung meiner Lieblings-Schokoladenkekse, und ich hüpfe zufrieden in die Kiste und lasse mich in der neu errichteten Michael-Frontzeck-Arena unterm Mittelkreis beisetzen, damit ich immer der Seitenwahl ganz nah bin. Gute Nacht.

Es grüßt Dich, vorher noch drei Punkte gegen Freiburg einfordernd:
Dein Joachim

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