Freitag, 19. August 2011

asiatische schweiz

Seit Favre am Niederrhein in Amt und Würden ist, macht Borussia wieder richtig Spaß. Das liegt zum einen an Favre selbst, der höchste Kompetenz mit knuffigem Sympathentum vereint wie wenig Trainer in der Bundesliga außer ihm. Es liegt aber auch an den Nebeneffekten, die der Schweizer Trainer nach Gladbach gebracht hat.

Da wäre zum einen die mit dem sensationellen Klassenerhalt zurückgewonnene mediale Aufmerksamkeit, die dazu führt, dass die Fohlenelf nicht mehr als ewiger Möchtegern und Running Gag in den "Was machen die ruinierten Traditionsklubs denn so"-Spalten der Zeitungen rangiert. Die Süddeutsche brachte letzten Samstag einen Artikel über Gladbach in ihrer Wochenendbeilage. Fast jedes Blatt widmet dem Saisonstart der Borussia eine längere Betrachtung. Und selbst Ekelblätter wie der Express nehmen rundum unterhaltsame Passagen in ihre Zeitung, etwa wenn Ewald "Ihr kennt meinen Spitznamen" Lienen zitiert wird: "Gladbach sollte man immer auf dem Zettel haben."

Ein anderer Effekt ist aber noch bemerkenswerter, wir wollen ihn den "Asiatische Schweiz"-Effekt nennen. Bekanntermaßen lurgen diverse Bundesligisten seit Jahren neidvoll zu anderen europäischen Klubs, die mittlerweile beachtliche Anteile ihrer Einnahmen im boomenden asiatischen Fan- und damit Marketingmarkt verdienen. Ein kleines Trainingslager hier, die Verpflichtung eines einschlägigen Nationalspielers dort -- prompt schnellen Trikotverkäufe, Fernseheinnahmen und was noch alles in Fernost in die Höhe. Ja, manche asiatische Zeitung stellt dann gar einen Korrespondenten ab, nur um einen Spieler auf Schritt und Tritt in der großen Bundesliga zu begleiten.

Den analogen Effekt erleben wir nun auch. Nur, dass sich die lokalpatriotischen Wilhelm Tell-Kinder in Gladbach tummeln, um immer informiert zu sein, was das Landeskind Favre so in der Bundesliga erlebt. Jede Woche überschlägt sich die Schweizer Presse mit stolzgeschwellter Brust, mittlerweile finden sich sogar in der ehrwürdigen Neuen Zürcher Zeitung lange Stücke über die Heldentaten des Lucien Favre. Und die sind allemal lesenswert. Denn bekanntlich ist nicht nur die NZZ eine großartige Zeitung, sie pflegt auch die liebenswerte Schweizer Spezialterminologie, die nicht von "Eckball" sondern von "Corner", nicht von "Elfmeter" sondern von "Penalty" (aber ja nicht englisch aussprechen, sondern schön brav "Penn-nalti", als wäre es eine Babycreme) spricht und vieles mehr.

So lernen wir aus der Vorberichterstattung zum heutigen Kick, dass Wolfsburg ein "von Coach Magath kreierter (und zusammengekaufter) Exploit" sei, Magaths Zeit auf Schalke wird treffend als "burleskes Intermezzo" charakterisiert. So witzig und fein sind selbst SZ und FAZ auf ihren Sportseiten nicht alle Tage. Allein, wenn es um Favres Borussia geht, wird man ganz ernst und mitfiebernd, wenn man angesichts zahlreicher Verletzungen und Brouwers' Sperre "Wunschelf ade" verkünden muss. Nicht nur Borussia, auch das Zeitungslesen macht dank Favre wieder Spaß.

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