Montag, 9. Mai 2005

krake keller, bollwerk borussia: eine frage der kultur

Zugegeben, es war auch Glück im Spiel. Daß der HSV den VfL gestern in der AOL-Arena dominierte, daß Gladbach vor Thijs-Hammervolley in der 59. kaum eine Torchance hatte, daß vor allem zu Anfang beider Halbzeiten der eine oder andere Schuß nur knapp das Borussentor verfehlte, dies alles ist zugestanden, bereits mehrfach berichtet und nicht falsch. Auch Horst "Held" Köppel betonte, daß Borussia mit dem Punkt mehr als zufrieden sein darf, sich über eine Niederlage nicht hätte beschweren dürfen. So kann man es sehen. Aber nur, wenn man übermäßig bescheiden ist.

Daher genug des Understatements. Im dritten Spiel der zweiten Ära Köppel bleibt Gladbach ungeschlagen, gar ohne Gegentor. Gegen aggressiv agierende Hamburger hielten die Fohlen gleichermaßen engagiert dagegen, standen defensiv meist sehr gut sortiert und bissen sich an ihren Opponenten fest. Dies war ein Bollwerk mit sehr wenigen Löchern, unterstützt noch dazu von Kasey Keller, der sich redlich den Beinamen "Krake" verdient hat. Der Mann, über dessen Weggang spekuliert wird, weil er wegen Advocaat an den Niederrhein kam und nun über eine Heimkehr nach Amerika nachdenkt, er war so stark im Tor wie selten zuvor.

Als Gladbachfan kann man auf zwei Arten auf das gestrige Spiel, auf alle Spiele unter Köppel reagieren: begeistert oder konsterniert. Wie kann es sein, so möchte man sich manchmal doch fragen, daß eine Mannschaft zwei Gesichter hat, die sich dermaßen unterscheiden? Ängstlich, lustlos, hilflos, unfähig und bissig, engagiert, selbstbewußt und mutig. Dürfen Profis derart abhängig sein von individuellem Wohlbefinden, von Kuschelfaktoren, von den kommunikativen Fähigkeiten ihres Coachs?

Wäre ich Wirtschaftswissenschaftler, glaubte ich an den homo economicus, ich würde sagen: nein, das darf nicht sein. Aber Kicker sind keine kalten Rationalisten, ja selbst die Wirtschaft hat der Effizienz längst die Emotion zur Seite gestellt, entdeckt, daß die vermeintlich weiche Unternehmenskultur und ihre Kommunikation der vielleicht härteste Erfolgsfaktor ist – spätestens, wenn der Erfolg ausbleibt.

Daher ist es nicht die Frage, ob ein Spieler Emotionen haben darf, er hat sie. Und daher bin ich nicht konsterniert ob der zwei Gesichter der Gladbacher, sondern begeistert. Denn das aktuelle Gesicht zeigt: Das jetzige Team paßt zusammen, das Gespür für das, wer und was mit der Gladbacher Unternehmenskultur vereinbar ist und wer und was nicht, scheint gewachsen. Nun müssen die Verantwortlichen alles tun, damit das so bleibt. Peter "der rosarote" Panders erste Wochen sprechen dafür, daß ihm das zuzutrauen ist. Effenberg-Anbiederungen wurden schnell pariert, die Trainerfrage – die in der aktuellen Konstellation offensichtlich virulent ist – wird nicht zum Krisenthema sondern souverän vertagt. Es stimmt wieder am Niederrhein und das stimmt zuversichtlich. Gladbach darf nicht absteigen. Und steigt nicht ab.

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