Donnerstag, 26. Oktober 2006

die offenbarung

Es war wie erwartet, wie ein langer Traum, der nicht vergehen möge. Es ist wie erwartet. Für die einen dauert der Traum noch ein paar Momente an, für die anderen auch, jedoch mit dem Präfix "Alb". Doch der Moment des Spiels, die Atmosphäre, das Flutlicht, das die VfL-Stars erleuchtete, die heiligen Stollen, die sich in den nassen, erdigen Rasen bohrten - das Eigentliche des Traums also, das ist vorbei. Unwiderbringlich und für alle.

Ein Foto vom Spiel, das wäre was. Dachten wir zuerst. Doch pfui, Teufelszeug. Auch der Fußballgott hat es nicht gern, wenn man sich ein Bildnis von ihm macht. Bzw. von seinen Jüngern auf Erden. Von den Mengas und Cichons und Kluges und Soncks. Deshalb kein Foto. Nur (un)geschönte Erinnerung.

VfL-Coachs Jupp Heynckes fasste am Ende zusammen: Man habe gegen einen VfL verloren, der sehr geschickt aus einer starken Defensive gespielt und die Räume eng gemacht habe. Das Stadion sei ein Hexenkessel gewesen, das habe das Spiel nach dem neuerlichen Rückstand in der zweiten Hälfte natürlich nicht einfacher gemacht. Wieder müsse man über das alte Lied klagen, immer in den entscheidenen Momenten zu patzen, besonders bei Kontern des Gegners, die Osnabrück oft gefährlich vorgetragen habe.

VfL-Coach Pele Wollitz zollte Heynckes eine Menge Respekt, meinte, es stünde ihm nicht zu, der Analyse eines derart erfahrenen und exzellenten Trainer etwas hinzuzufügen. "Da möchte ich gern einmal hin, wo Herr Heynckes schon war!" Er bat wieder einmal darum, Geduld mit der Mannschaft zu haben, auch und gerade dann, wenn es wieder einmal Rückschläge zu verarbeiten gebe. Er dankte aufrichtig allen voran dem VfL-Vorstand, dass man ihm Zeit gegeben habe für sein Projekt, mit dem er aber noch nicht am Ende sei. Die Mannschaft stehe erst am Anfang einer Entwicklung.

Was war vorher geschehen? Zwei Mal habe ich ungehemmt und unglaublich euphorisch gejubelt. Emotionen, die bei mir nur der Fußball, nur der VfL auslösen kann. Nur der. Schließlich ist der VfL aus Osnabrück der Teil, den ich in die VfLog-Ehe einbrachte, und in so einem Spiel wie dem heute bricht diese Leidenschaft vollkommen durch. Was für ein zauberhaftes Happyend. Im vorletzten Jahr schied Osnabrück unglücklich in der 93. Minute gegen den FC Bayern aus, im vergangenen Jahr im Elfmeterschießen gegen Mainz. Und nun, im Spiel, das uns der Fußballgott geschenkt hat, das späte Glück.

Addy Menga war der Mann des Abends. Beim sehenswerten 2:1-Siegtreffer in der 58. Minute setzte er sich nach einem hohen Ball gleich gegen zwei Gladbacher durch, besonders Tobias Levels sah schlecht aus. Er gewann den Dreikampf. Menga sah Gladbach-Keeper Heimeroth da stehen, wo ein Torwart stehen muss, wenn die eigene Mannschaft angreift, nämlich ein paar Meter vor dem Tor; wenn die eigenen Kollegen dann plötzlich den Ball verlieren, der Gegner schnell kontert, steht der Keeper natürlich immer noch dort, und auf einmal sagen alle, dass er falsch stehe. Menga jedenfalls sah das, schoss, und versenkte den Ball aus gut 20 Metern rechts oben im Eck. Beim 1:0 in der 16. Minute nahm Menga eine Aziz-Flanke von links an, die schon Thijs (Gladbach) und Reichenberger (Osnabrück) vergeblich zu erreichen veruschten, spielte das erste Mal folgenreich Levels aus und versenkte abgebrüht ins lange Eck.
Das 1:1, der zwischenzeitliche Ausgleich, fiel in der 19. Minute nach einer Ecke, der ersten für Gladbach. Sonck stand grundlos frei, köpfte und traf ins recht Eck.

Das waren die zählbaren Höhepunkte eines nicht eben besonders guten, aber gerade in der Schlussphase ungeheuer intensiven Fußballspiels. Selten zuvor war ich bei einem VfL-Spiel derart nervös. Das lag am oft schnellen und gefälligen Gladbacher Spiel. Die Heynckes-Elf brachte es sicher auf 70 Prozent Ballbesitz, und über die Dauer des gesamten Spiels trieb einen die Angst um, die Osnabrücker Abwehr könnte irgendwann einmal einen Moment lang unachtsam sein. Doch sie war es nicht. Im Gegenteil, die Innenverteidigung stand bombensicher, Dominique Ndjeng und Thomas Cichon verstehen sich offenbar blendend. Besonders aber die Außenverteidiger Andreas Schäfer und Marko Tredup spielten stark. Gemeinsam ließen sie nicht eine einzige Gladbacher Chance aus dem Spiel heraus zu. Schulbuchmäßig machten sie die Räume dicht, sie verschoben sich auf die Seite, auf der das Spiel stattfand, und griffen das ballführende Fohlen meist immer zu zweit an. Das war ausgezeichnete Abwehrarbeit.

Gladbach zeigte oft, dass sie zurecht zwei Ligen höher spielen. Das Zweikampfverhalten im Mittelfeld war besser, der Ball lief gut und durchdacht und vor allem: schnell. Jedoch nur bis 25 Meter vor dem Osnabrücker Tor. Der lila-weiße VfL war besonders in der ersten Hälfte unglaublich nervös, was bei der jungen Mannschaft nicht weiter verwundert. Viele leichte Abspielfehler, viel zu ungestüm im Aufbauspiel. Gladbach drückte in vielen Spielphasen, schnürte den Gegner mehrfach in der eigenen Hälfte ein. Oft wusste sich Osnabrück nur mit Befreiungsschlägen zu helfen. Bis zum Schluss jedoch erfolgreich, und das spricht eindeutig gegen Gladbach. Und für einen verdienten Sieger.

Die sechs Minuten Nachspielzeit waren der Wahsinn. Belagerungszustand vor dem Osnabrücker Tor. Bei einer Abseitsentscheidung rannten schon Fans, Betreuer und Ersatzspieler auf den Platz, weil sie Schiedsrichter Gräfes Pfiff für den Schlusspfiff hielten. Doch nein: Letzter Freistoß für Gladbach, Torhüter Heimeroth mit vorn. Vorbei. Der Fußballgott mochte nicht mehr, er wollte schlafen, er hatte uns genug verwöhnt.

Was bleibt? Zwei Trainer, die in ihren Vereinen latent dieselben Probleme haben - ein ungeduldiges Umfeld und (über)hohe Erwartungen. Heynckes lässt sich in stoischer Manier davon (noch) nichts anmerken. Wollitz ja, und das stimmt nachdenklich. Wenn sich der Trainer gerade nach so einem Spiel nicht ausgelassen öffentlich freuen kann, weil er fürchtet, nach einem nächsten Rückschlag sofort wieder zerrissen zu werden, dann bereiten uns die so genannten Fans, die ihn so weit bringen, bald ein nachhaltiges Problem. Das schmälert schon wieder die Freude über ein Gottesgeschenk, das ist ärgerlich. Denn dass Wollitz ein Konzept hat und eine Mannschaft, die sich dafür aufopfert, dass sollte selbst der tumbeste Zuschauer erkennen; es ist nicht anzuerkennen, ist eine Frechheit.

Angefangen hat der Abend übrigens wegweisend: Drei Anwohner in Hörweite der Bremer Brücke, offenbar am Treiben im Stadion weitgehend uninteressiert, sprachen folgendes: "Was ist denn heute hier los?" - "Osnabrück spielt gegen Gladbach." - Ach, Gladbach, das ist doch Bundesliga, oder?" - "Ja, schon. Aber heut spielen die ja wieder auswärts!"

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Als Borusse schmerzt mein Herz vor Trauer.

Als VfLer trocknet allein die Gewissheit die Tränen, dass doch alles in der Familie bleibt.