Dienstag, 3. Oktober 2006

seitenwechsel #9

Auf schillernde Juwelen kann man von vielen Seiten blicken und staunen. Seit 1997 bereits beobachtet Seitenwahl für seine Leser das Gladbacher Geschehen, 2004 gesellte sich der VfLog dazu. Beide Projekte haben ihren eigenen unverwechselbaren Charme. Seit Beginn der Saison 06/07 gibt es nun den SEITENwechsel: Seitenwahl und VfLog haben einen Briefwechsel begonnen, in dem alles möglich ist: Fachsimpelei, Verbalfouls, Streit und Harmonie. Solange die Tinte reicht, wird auf Seitenwahl und auf dem VfLog dienstags nach Spieltagen der Brief der jeweils anderen Seite veröffentlicht.

Unten der neunte Brief von Mike an Martin, Martins Antwort gibt es bei Seitenwahl.


Hallo Martin,

es ist einer dieser faden und langweiligen Tage. Am Wochenende wie erwartet verloren, heute ein Brückentag, an dem ich arbeiten gehe, und dazu noch zwei Wochen Bundesligapause, weil Länderspiele auf dem Programm stehen. Ich fühle mich leer, gelangweilt und müde.

Die fast resignierende Haltung, die man nach einer neuerlichen Auswärtsniederlage an den Tag legt, könnte schon beängstigen. Inzwischen hat man schon alle Haltungen nach einem solchen Tag gezeigt und sie auf Papier gebracht: von reißerischen Artikeln über zynische Kommentare bis zu sachlichen Analysen. Inzwischen gehen mir und der Redaktion die Ideen aus. Faszinierend bleibt für mich, dass diese Misere schon seit Jahren anhält. Wir haben inzwischen mehrmals den kompletten Kader samt Trainer, Co-Trainer und sogar den Stadionsprecher gewechselt. Liegt es am Trikot? Ist es der Status "Spieler von Borussia Mönchengladbach", der einem verbietet, auch auswärts Fußball zu spielen? Liegt ein Fluch über diesem Verein? Sollte man vielleicht den Busfahrer austauschen?

Je mehr ich jetzt darüber nachdenke, desto mehr steigt die Wut in mir wieder hoch. Ein Gefühl, das ich an den Spieltagen selber kaum mehr verspüre. Scheint ein Schutzmechanismus meiner Seele geworden zu sein. Ich habe das Gerede der Fans in den Foren der vergangenen Jahre oft abgetan, wenn über Borussias mangelnde Fähigkeit, die emotionalen BigPoints zu setzen, gesprochen wurde. Doch es ist die Wahrheit. Reflektiert man die vergangenen Saisons, so stellt man fest, dass im Prinzip jedes wichtige Spiel vergeigt wurde. Der Klassenerhalt wurde mit einigen Unentschieden und brav herausgespielten 1:0-Heimsiegen bewerkstelligt. Wie gerne hätte ich auf manchen Heimsieg verzichtet, wenn dafür zwischendurch ein 4:2-Auswärtssieg gelungen wäre. Aus heiterem Himmel! Einfach so! Ein solcher Auswärtssieg, dem eine 1:4-Heimklatsche folgt, wo man jedoch selber noch fünfmal den Pfosten getroffen hat. Spiele, die einen emotional berühren. Das bietet Borussia nicht und nicht mehr, und das gilt auch und speziell für den Kader. Wo sind die Spieler, an denen man sich reiben kann? Dass jede Saison ein Spieler von den Fans zerrissen wird, so what? Aber man vermisst förmlich einen Marek Heinz, einen Arie van Lent, einen Jörg Stiel, natürlich auch einen Stefan Effenberg oder Martin Dahlin. Die Dich begeistert haben, aber auch zum Fluchen brachten. Was ist heute? Wann hat Borussia zuletzt fünf Tore in einem Spiel geschossen? Wo ist das Wilde, das Unberechenbare, das mich einst zur Borussia trieb? Wenn die Mannschaft verliert, dann verliert sie kollektiv. Dann versagen alle, und zwar komplett. Braver, bieder Durchschnitt, mehr nicht. Man könnte fast von der "El-Fakirisierung" der Mannschaft oder des Fußballs sprechen.

Am Donnerstag läuft Sönke Wortmanns "Deutschland. Ein Sommermärchen" in den Kinos an. Sehe ich den Trailer, sehe ich Klinsmanns Ansprachen in der Kabine und denke danach an das Spiel am Samstag (oder das Auswärtsspiel davor oder davor oder....), tut es nochmal richtig weh.

In diesem Sinne: auf ein 1:4-Debakel gegen Wolfsburg.
Es grüßt
Mike

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