Mittwoch, 25. April 2007

seitenwechsel #28

Schillernde Juwelen sind rar - deshalb sollte man sie von vielen Seiten beschauen und staunen. Seit 1997 bereits beobachtet Seitenwahl für seine Leser das Gladbacher Geschehen, 2004 gesellte sich der VfLog dazu. Zu Saisonbeginn haben Seitenwahl und VfLog einen Briefwechsel begonnen, um den Blick zu weiten. Diese Woche hat einmal mehr Mike vorgelegt; sein Lehren aus den vergangenen Monaten lest Ihr unten. Martins Antwort steht bei Seitenwahl.

Liebe Freunde,

endlich ist es geschafft. Der Abstieg ist (fast) besiegelt, und das völlig zurecht. Es ist gar befreiend, wenn man wider aller Vernunft Woche für Woche den Zweckoptimisten gibt und Borussia einem im gleichen Rhythmus schallende Ohrfeigen voller Häme zuteil werden lässt. Unter der Leserschaft gelte ich schon lange als naiv-verblendet, in der Redaktion wurde Geld für eine vernünftige Therapie zusammengeschmissen, meine Freundin nimmt mich bei Beurteilungen im Fußball ohnehin nicht mehr ernst. Doch als nach Sonntag Abend selbst mein Kater anfing mich zu meiden und die eigenen Nachbarn die Straßenseiten wechselten, wurde mir klar, dass ich meine Haltung ändern müsse.

Wie immer bewundere ich Eure romantisch-kluge Art, mit diesen Dingen umzugehen. Die "Bundesliga der Herzen" wurde ausgerufen, welch genialer Einfall. Gib dem Kind einen anderen Namen! Nenne es Königs! Doch will ich nicht in billige Wortspiele verfallen, sondern ernsthaft diskutieren, welche Lehren aus dieser Saison gezogen werden können. Gestritten und diskutiert wird viel in diesen Tagen. Leider ist wie immer viel dummes Zeug dabei, aber auch daran gewöhnt man sich auf Dauer. "Advocaat ist der Schuldige!", so lautet das allgemeine Credo des Boulevards und damit auch der Meute. Das ist ebenso dumm wie zu kurz gedacht, aber in Zeiten unruhigen Fahrwassers steht dem Volk nicht der Sinn nach fundierten Analysen, da müssen Köpfe rollen. Dass inzwischen auch Jos Luhukay immer mehr in die Kritik gerät, überrascht dabei nicht mehr. Inzwischen werden die ersten Stimmen auch außerhalb des Mönchengladbacher Dunstkreises laut, die den Holländer höchstens bis in den Herbst am BorussiaPark beschäftigt sehen, sofern der Start in die Zweite Liga misslingt. Aufgrund seiner offenen und freundlichen Art hat er noch Kredit bei der vierten Macht im Staate Mönchengladbach, doch irgendwann wird die schreibende Meute der schreienden Meute folgen.

Mein geschätzter Kollege Heinen, mit dem ich der nun zu Ende gehenden Saison nicht immer einer Meinung in der Bewertung der Geschehnisse war, hat in einem Beitrag im Seitenwahl-Forum sehr treffend formuliert: "Es gibt einige Spieler im Kader, die möchte ich nie mehr im Gladbacher Trikot sehen!". Dem ist fast nichts hinzuzufügen, außer: wenn ich mich in der Bewertung der Mannschaft getäuscht habe, dann in der charakterlichen Integrität. Ich bin nach wie vor überzeugt, dass der Kader grundsätzlich ausreichend Qualität besaß, um die Klasse zu halten. Ein Abstieg ist immer die Summe diverser fehlgelaufender Faktoren. Nicht vorhandene Hierarchien, Fehleinschätzungen bei der Zusammenstellung des Kaders, Verletzungspech... - die Liste lässt sich fortführen. Und am Ende steht der Abstieg. Doch ich habe selten einen so seelenlosen und blutleeren Auftritt gesehen wie zuletzt in Hannover. Ihr wisst, dass ich nie müde wurde, auf den Faktor "Willen" zu setzen, denn ich weiß aus eigener Erfahrung, Überzeugung und meinem Selbstverständnis, dass der Glaube in der Tat Berge versetzen kann. Man muss es nur wollen. Insofern wird es am Ende der laufenden Saison fast schon tragisch werden, wenn zwei weitere Mannschaften unserer Borussia in die "Bundesliga der Herzen" folgen werden müssen. Ob Dortmund, Frankfurt, Bochum, Bielefeld, Aachen oder Mainz. Sie alle kämpfen, kratzen und beißen. Und dennoch wird es zwei von ihnen erwischen. Bei Borussia haben viele Menschen aus allen Lagern daran mitgearbeitet, den Erfolg erst gar nicht aufkommen zu lassen, weil persönliche Eitelkeiten, widerliche Machtspielchen und Profilierungssucht einer konstruktiven Arbeit im Wege standen.

Dennoch, es gibt Grund zur Freude: in der nächsten Saison werden unsere VfLs zweimal die Klingen kreuzen, eine schöne Vorstellung. Die Osnabrücker werden erfahren, wie bitter-süß ein Heimsieg gegen den 1.FC Köln sein kann oder wie ernüchternd eine Niederlage im BorussiaPark. "Die Vernunft formt den Menschen, das Gefühl leitet ihn". Jean-Jacques Rousseau war ein kluger Mann.

Es grüßt
Mike

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