Mittwoch, 17. Februar 2010

seitenwechsel #105

Eines Tages, wenn Facebook verboten ist, die letzte Twitter-Message verfasst, die letzte SMS geschrieben ist, wird es doch immer noch Briefe geben. Zumindest den Seitenwechsel, den wir uns seit Urzeiten mit den lieben Kollegen von Seitenwahl schreiben. Ob es das Kino auch noch geben wird? Egal, noch gibt es die Multiplexe, und Martin berichtet diese Woche von einer Träumerei, der er sich im dunklen Kinosaal hingab - nachzulesen wie immer auf Seitenwahl. Auch Joachim spricht von großen Gefühlen, Liebe gar – und findet dann doch gewohnt souverän den Bogen zu seinem harten ceterum censeo: Drei Punkte, drei Punkte, drei Punkte.

Lieber Martin,

jetzt schmeichelst Du mir ja arg – George Clooney ist doch der, der fast so gut aussieht wie ich, dafür aber die bessere Espressomaschine hat? Muß ich mir gleich mal ansehen, diesen Film. Ich stehe ansonsten eher auf abgefahrenes Randgruppen-Kino (vor einiger Zeit etwa sah ich einen phantastischen Problemfilm aus Algerien – arabisch mit französischen Untertiteln – in einer Kaschemme in Toulouse, ganz großes Kino im wörtlichen Sinn), aber George Clooney schaue ich mir natürlich an, vor allem, wenn er mich spielt. Auch wenn ich nicht Bingham heiße.

(Warum denke ich eigentlich beim Verfassen der letzten beiden Sätze an Karim Matmour? Es ist wohl die Assoziation mit dem algerischen Problemfilm. Lassen wir das, ich schweife ab.)

Lieber Martin, die Olympischen Spiele läuft recht gut, zwar am unteren Rand der hohen Erwartungen, aber Platz eins in der Medaillenwertung ist erstmals erobert. Ich habe mir daher heute frei gegeben und war im Zoo. Sie haben dort zwar den Löwen keinen Geißbock verfüttert, aber ich habe mich trotzdem amüsiert. Jetzt bin ich zurück und stähle mich für die nächste Nacht (Damen-Abfahrt, Rodel-Fleischwürste im Doppelpack und Eishockey, endlich the real thing). Da kamen mir Deine Zeilen gerade recht. Wie Du weißt, bin ich eitel. Eigentlich sollte ich daher für den Spiegel schreiben, aber ich bin ja nicht linksradikal. Also schreibe ich lieber vor dem Spiegel und für den VfLog, zumal wenn man dort nicht mit schnödem Mammon, sondern mit cineastischen Leckereien und wundervollen Worten wie „Epiphanien“ entlohnt wird, die mich gleich an James Joyce, den großen Autor meiner Jugend, denken lassen.

Nun aber zur Essenz Deines Briefes: Spricht aus meinen Worten ehrlicher Optimismus oder abgfeimte Berechnung? Natürlich letzteres, aber das werde ich jetzt im weiteren so sehr verbrämen, daß es doch eher sympathisch rüberkommen wird (hehe). Ich fange mal so an: Negative Gefühle sind mir alles andere als fremd, und ich äußere sie gerne, vor allem, wenn ich Auto fahre oder mich anderweitig unbeobachtet fühle. Im Straßenverkehr sind nämlich außer mir nur Idioten unterwegs, und auch in anderen Bereichen des Lebens bin ich von Chrétins und Banausen umgeben.

Ich habe freilich die überraschende Einsicht erlangen müssen, daß die meisten Menschen recht ungehalten reagieren, wenn sie mit Ihren Schwächen konfrontiert werden. Daher übe ich mich in Wendungen, die das Positive hervorheben (mein Büronachbar ist Brite, und er kann das noch besser als ich, inspiriert von der Serie „Yes, Minister“ oder wie die heißt – „Sir, your proposal is innovative and courageous“ heißt zum Beispiel „Depp, Dein Vorschlag ist schwachsinnig und wird Dich Deinen Job kosten“). Und manchmal bringt es ja auch etwas. Erstens wird das Leben allgemein angenehmer, etwa die von Dir geschilderten Entlassungsgespräche, die man so von allem unschönen Streß befreit – Stümper, sieh’s positiv, Du bist der nächste Nero, also zünde Dir erst mal ne Zigarette an. Zweitens geschehen ja auch wirklich Wunder. Jahrelang habe ich beispielsweise akribisch die Eigentore von Tobias Levels gezählt, und dennoch ist aus ihm tatsächlich so etwas wie ein Fußballer geworden. Wenn das kein Wunder ist, dann weiß ich nicht, was ein Wunder ist.

Bei Borussia kommt freilich noch etwas anderes dazu: Ich liebe diesen Verein, und er ist ein Teil von mir. Wie zu allen meinem Lieben, bevorzugt mir selbst, bin ich daher in allen Dingen äußerst milde. Ich habe ja auch noch eine statistische Lebenserwartung von etwa vierzig weiteren Jahren, da kann ich noch ein paar Jahrzehnte auf den nächsten Titel warten. Und so verbringe ich meine Wochen nicht in blindem Wüten, sondern suche konzentriert das Positive und verbanne das Negative. Nehmen wir nur mal Hoffenheim. Soll ich mich sorgen? Das ist ein gänzlich überflüssiger Plastikverein mit ein paar zusammengekauften Söldnern und einigen talentierten Jugendspielern, die zumeist in anderen Vereinen ausgebildet wurden. Kurzum: bundesligaunwürdig im Extrem. Gewinnen wir, ist es also normal, verlieren wir, schiebe ich es einfach auf den sinistren DFB-Großkapital-Komplex.

Daher sage ich an dieser Stelle zu Deiner sicherlich großen Überraschung: Drei Punkte müssen her. Und Ralf Rangnick würde ich im persönliche Gespräch – ganz George Clooney – eine rosige Zukunft aufzeigen: Gehen Sie zurück nach Ulm, da steht eine große Wurstfabrik. Schon mancher hat von dort aus eine große Karriere gestartet, und wenn daraus nichts wird, können Sie zumindest über mehr als elf Würste verfügen.

Es grüßt Dich mit goldbezahntem Haifischlächeln und still die Fusion von VfL Osnabrück und Lausitzer Gurken (aka Energie Cottbus) vorbereitend

Dein Joachim

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