Mittwoch, 8. Juni 2005

ich blicke in den spiegel und sehe: nichts

Ach, Spiegel-Redakteur müßte man sein. Dann könnte man den lieben langen Tag sich in der Gewissheit sonnen, zum Club der geilen Kerle zu gehören. Denn man wäre ja Spiegel-Redakteur. Man gehörte dann zweifellos zur 1. Liga des Journalismus, ach, was sage ich! Zur Champions-League! Was mann schreibt, wäre dann fast egal, denn im Spiegel sähe man morgens und abends immer einen Spiegel-Redakteur, auch wenn man den ganzen Tag nur Quatsch mit Soße in die Tastatur gehackt hätte.

So zum Beispiel Christian Gödecke heute im Spiegel-Online zum Länderspiel im Borussia-Park. Schon die Überschrift "Ein Mythos lebt auf" zeugt von beachtlicher Ignoranz gegenüber der in Gladbach schon fast ermüdenden Omnipräsenz des Mythos-Begriffs: Mythos-Borussia, Mythos-Bökelberg, Mythos-Fohlenelf, Mythos-Pipapo. Hier lebt nichts auf, hier ist etwas schon immer da, und zwar derart überstrapaziert, dass ich mir bisweilen ein wenig weniger Mythos und ein bißchen mehr Gegenwart wünschen würde.

Aber gut, der Spiegel spielt gerne die Historien-Karte, noch dazu wenn sich ein hanebüchener Vergleich konstruieren läßt, mit dem sich ein paar launige bedeutungslose Zeilen schinden lassen, die nichts sagen, nichts erklären aber einen netten Anfang mit einer kleinen menschlichen Anekdote und einen hübschen Schluss haben. Hier also gilt der Vergleich der Nationalelf und unserer Borussia: "Mit der Nationalelf kommt sozusagen das Abziehbild der erträumten Zukunft nach Mönchengladbach."

Also wirklich, Herr Gödecke, das verbitten wir uns! Was ein Schmarrn zu behaupten, Klinsis Kicker hätten "derzeit all das, was dem Traditionsverein vom Niederrhein (noch) fehlt." Als da wären: Erfolg, die Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb und eine Vision. Wie erfolgreich ist denn jemand, der sich von ein paar Lederhosen-Kickern abziehen läßt? Wir haben die Bayern in dieser Saison immerhin geschlagen! Und die deutschen Adler für die Teilnahme an einem internationalen Wettbewerb (für den es keine Qualifikation gab) zu loben, gleicht als Kompliment der Bemerkung, Borussia spiele in der Bundesliga. So ist das halt: Vereine spielen national, Nationalmannschaften international. Und eine Vision fehlt uns in Gladbach sicher auch nicht. Die Gefahr scheint eher, daß die Visionäre die Gegenwart am Traum messen, an Träumen aber mangelt es nicht.

Alles, was dann im Spiegel folgt, ist ausnahmslos leeres Gewäsch. Der Gesang vom Abstiegskampf, vom Trainerverschleiß, von risikoreichen Transfers, von den dennoch vorhandenen und nicht zuletzt dem neuen Stadion geschuldeten guten Perspektiven des Clubs. Guten Morgen, Herr Gödecke, alles schon Dutzendmal gehört! Natürlich bleiben auch die üblichen Verdächtigen Netzer, Heynckes, Simonsen, Bonhof nicht aus. Da hat jemand aber fleißig recherchiert.

Wir schlafen schon fast, da kommt endlich das rettende, pseudo-originelle Ende. Gladbachs Ziel sei es, in drei Jahren den Anschluss nach oben zu schaffen. Und wieder folgt ein ach-so-plausibler Vergleich. Halten wir uns fest: "Und ob gewollt oder nicht: Auch hier gibt das Stadion die Richtung vor. Der Borussia-Park liegt 19 Meter höher als der Bökelberg." Oho, ohoho, haben wir gelacht.

Was von diesem Artikel bleibt, der blendend als Chiffre für so viele Spiegel-Texte taugt, sind wenige hübsche Pointen, viel heiße Luft, massig banaler Blindtext und eine unhaltbare Grundbehauptung: Nämlich die, Gladbach solle sich den DFB und die Nationalelf zum Vorbild nehmen. Was aber in Gladbach vom DFB zu halten ist, zu diesem Thema läßt sich bei den Kollegen von der Seitenwahl ein hübscher Artikel nachlesen. Die passende Überschrift: Danke für nichts!

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