Donnerstag, 5. November 2009

seitenwechsel #95

Freunde der VfLiebe! Dies ist schon die 95. Ausgabe des Seitenwechsels, unserer Brieffreundschaft über die Lage der Nation, d.h. der VfLs. Und mittlerweile ist es mehr als eine bloße Freundschaft: Joachim war vergangene Woche sehr ärgerlich, weil Martin sich tagelang nicht gemeldet und seinen Liebesbrief nicht beantwortet hatte. Wie das eben so ist unter Verliebten: So geht es nun auch nicht. Martins Friedensangebot gibt's diese Woche bei Seitenwahl. Und Joachim, die treue Seele, lässt Fünfe gerade sein, macht nicht einfach Schluss, sondern isst eine Bratwurst.

Lieber Martin,

ich muß zugeben, ich war letzte Woche sehr über Dich verärgert. Zum ersten Mal seit dem letzten Frisurwechsel von Angela Merkel habe ich mit irgendeiner fußballbezogenen Meinung rechtgehabt, und dann veröffentlichst Du das nicht. Ich wollte mir schon ein Loch graben und beleidigt schweigen, da hast Du das ganz große Internet-Kino ausgepackt, erst eine um Verzeihung heischende e-mail, Du seist in Gegenden Deutschlands gewesen, wo Deine emils Dich nicht erreichen konnten (als gäbe es so etwas noch), dann flugs nach dem Hamburg-Spiel noch meinen letzten Text rückdatiert veröffentlicht, um mir die Gnade der späten Genugtuung zukommen zu lassen – Du bist schon mit allen Kondenswassern gewaschen.

Nun, laß uns zurückkommen zur Normalität, und die lautet: Die Mannschaft holt wenig Punkte, und ich tue so, als sei das normal und okay. Ich höre, Stuttgart sei nervlich angeschlagen und spielerisch unpäßlich, dazu müde von der Reise nach Sevilla und personell dezimiert durch Verletzungen, außerdem in Erwartung eines Trainerwechsels und mit einer Mannschaft ohne Struktur, dafür mit Lehmann (ich möchte am Samstag gerne Balljunge sein…). Ich höre außerdem, Borussia hat nun den Knoten durchgehackt und kann befreiter aufspielen, alle haben wieder Spaß und wollen beschwingt laufen, rennen, fighten. Was schließe ich aus diesem Ganzen? Eben, klarer Fall: Wir verlieren.

Vielleicht hast Du nun etwas anderes erwartet, aber was ist denn passiert? Wir haben in Hamburg gewonnen. So what? Ich krame ja selbst gerne in Statistiken und suche akribisch heraus, daß wir seit drei Jahren kein Spiel mehr drehen, seit sieben Jahren keine Standardsituation mehr nutzen und seit dem dritten Kreuzzug keine Spitzenmannschaft (humpf…) mehr besiegen konnten. Aber was heißt das letztlich? Hamburg macht das 3:1 statt wir den Ausgleich, und wir haben verloren, obwohl wir das gleiche gute Spiel gemacht haben. So ist das im Fußball – alles hängt an wenigen Momenten, und mal dreht sich Glück so herum, mal in die entgegengesetzte Richtung. Am Ende sind Trainer und Mannschaft nach dem Sieg beim HSV genauso gut oder schlecht, wie sie es bei einer knappen Niederlage gewesen wären. Gleiches gilt aber natürlich für die Spiele vorher: Sie waren nicht schlecht, nur weil die Kölner nicht besiegen konnten oder gegen Hoffenheim verloren haben.

Und so hast Du natürlich recht, wenn Du sagst, wir sind derzeit der Chef im Unterhaus der Liga. Aber das ist relativ: Wenn Du bei den Geisterfahrern, die auf ihrer Insel tatsächlich meinen, den Fußball erfunden zu haben, der Chef im Unterhaus bist, bist Du der Big Boss, denn nur die Queen ist größer, und einen Königs haben wir selber. Und falls das nun bedeutet, daß ich ob dieser Phrase einen Taler – so nennen wir in Preußen drei Euro – ins Phrasenschwein werfen muß, so sage ich Dir: No way, das waren glatt drei Metaphern am Stück, dafür sitze ich ja schließlich seit drei Jahrzehnten am Spielfeldrand, um einmal im Jahr einen Satz mit mehr als vier Wörtern schreiben zu können (und ab und an recht zu haben, womit wir wieder beim Anfang wären).

Fazit: Samstag geht’s zum Park, das Bier fließt wieder, die Wurst schmeckt gleich scheußlich wie zuvor, doch wen stört es – wir haben mal keinen Druck, bis nächste Woche, wenn wieder alles sein wird wie zuvor. Und das ist ja eigentlich ganz kuschelig und gut so.

Es grüßt Dich, auf eine Veröffentlichung dieser Zeilen vor dem nächsten Auswärtssieg hoffend,

Dein Joachim

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