Mittwoch, 25. November 2009

seitenwechsel #97

Die hundert naht, so lange gibt es nun schon den wöchentlichen Seitenwechsel. Joachim ist immer noch voll bei der Sache und schwärmt von Gladbachs Spiel, das den Kompositionen eines obskuren Tonkünstlers gleiche. In seiner Antwort konzentriert sich Martin nicht aufs Schwärmen, sondern auf neue Leserschichten und holt sie dort ab, wo sie sind: In China – und bei Seitenwahl.

Lieber Martin,

Manchmal, bevorzugt am Wochenende, liest man einen langen Artikel in einer Qualitätszeitung. Der Artikel thematisiert das Schaffen eines Menschen, den man nicht kannte und der in einer Branche arbeitet, in der man sich wenig bis gar nicht auskennt. Eigentlich weiß man kaum, was der konkrete Anlaß des Artikels ist, und er legt sich auch auf kein Genre fest. Ist es eine Kurzbiographie, eine wissenschaftliche Studie oder ein kultursoziologischer Traktat? Vielleicht ist es auch eine Studie über das Leben im allgemeinen. Jedenfalls aber meint man nach der Lektüre, nicht nur blendend unterhalten worden zu sein, sondern man fragt sich, wie man vorher von der Existenz des Gegenstandes keine Ahnung haben konnte. Und man verspürt den Drang, den Artikel bald nochmals zu lesen, ganz einfach weil er so gut geschrieben ist.

So erging es mir bei der Lektüre des wunderbaren Artikels von Dietmar Dath über das Schaffen des Komponisten Cornelius Cardew in der FAZ vom 21. November, und so erging es mir wenige Stunden später beim Betrachten der Begegnung Borussias bei Eintracht Frankfurt. Ich hatte im Vorfeld nicht das Gefühl, daß ich solche Spiele brauche, ich war beim Betrachten des Spiels nicht der Ansicht, daß Borussia besonders gut spielte, doch es wogte hin und her, es gab überraschende Akzente, die geschickt zum richtigen Zeitpunkt eingestreut wurden, und am Ende machte sich tiefe Zufriedenheit breit. Kurzum: Das Spiel wußte eine Geschichte zu erzählen. Ich hätte gerne mehr davon.

Lieber Martin, letzte Woche beklagte ich, daß wir weit weniger Punkte hätten, als uns von den Leistungen her „zustünden“. Nun, der Fußballgott – sprich das Gesetz der großen Zahl, statistisch gesehen – hat uns drei Punkte geschenkt, die weder eingeplant noch der Sache nach angemessen waren. Damit möchte ich die Leistung nicht kleinreden, aber wer das erste Tor geschenkt bekommt, mehrfach in extremis den Ball von der eigenen Torlinie kratzt und am Ende den entscheidenden Konter vergeigt, der hat auch Glück – und zwar viel davon. Nun, ich selbst habe auch häufig Glück, und ich sage mir dann einfach: Glück hat der Tüchtige. Basta.

Es gibt ja auch viel Positives mitzunehmen. Beispielsweise kamen mir nach dem Anschlußtreffer die Worte „Bochum“ und „Hoffenheim“ in den Sinn. Schön, daß die Spieler der eigenen Mannschaft inzwischen nervlich stabiler sind als man selbst. Betrachtet man Logan Bailly, sind sie vielleicht gar nervlich zu stabil, auch wenn seine Aktion in keinem Saisonrückblick fehlen wird. Ich hoffe, er handelt am 34. Spieltag, wenn ein einzelnes Tor über was dann auch immer entscheiden kann, bedachter. Sein Gegenüber freilich tat mir leid. Überall lese ich „Eigentor Nikolov“, aber wenn jemand nun gar nichts für diesen Treffer kann, so ist er es. Nun, das wird seine geringste Sorge sein.

Kurzum, vielleicht gehe ich an einem Abend, an dem im Fernsehen nur unnütze Champions League-Gruppenspiele laufen, hin und betrachte auf Fohlen-TV nochmals das Frankfurt-Spiel (nur diesmal ungleich entspannter). Oder ich lese erneut den Artikel von Dietmar Dath. Wahrscheinlich aber lese ich einfach Deine Antwort auf meinen Brief sowie die Reaktionen der ungezählten Chinesen, die in Eurer Leserbriefspalte die deutsche Grammatik einüben. Nur eines weiß ich mit Sicherheit: gegen Schalke müssen Punkte her.

Es grüßt Dich somit mit dem alten Murmeltiergruß

Dein Joachim

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