Donnerstag, 27. November 2008

seitenwechsel #70

Siebzig Mal haben wir uns nun schon mit den lieben Kollegen von Seitenwahl einen unserer Brand-, Schmäh- oder Liebesbriefe geschrieben. In dieser Woche wendet sich Joachim schon ganz weihnachtlich an Maik. Der lässt sich jedoch nicht einlullen und mag zwar Sex, Drugs & Rock'n'Roll, aber keine Harmonie – nachzulesen auf Seitenwahl.

Lieber Maik,

Weihnachten steht vor der Tür. Ich gebe zu, daß das jetzt keine Exklusivmeldung des VfLog ist, aber so langsam wird es ernst, und daher spreche ich es hier an. Sonntag ist der erste Advent. Nicht, daß ich weiß oder daß es mich interessiert, warum die Marketingabteilung der Kirche den Advent erfunden hat, doch die damit einhergehenden Gefühle – draußen Sturm und Matsch, drinnen ich bei Kerzenschein, Plätzchen und Jagertee, dazu singen die Augsburger Domwachteln – empfinde ich stets als einen Höhepunkt des Jahres.

Nun ist es jedoch so, daß auch hier philosophische Grundströmungen aufeinanderprallen. Ich bin Naturkerzler, und für mich muß zum Beispiel der Weihnachtsbaum schlicht sein: Naturtanne, weiße Naturkerzen, ein paar Kugeln (einfarbig), etwas Lametta, obendrauf ein Stern, das ist es. Ich lebe jedoch seit geraumer Zeit in einer Welt voller Elektrokerzler: Plastikbaum, gefühlte fünfzig Meter Schnur mit Hunderten elektrischer Mikrokerzen, Kugeln einmal die Farbpalette rauf und runter, 27 verschiedene Sterne, alle von diversen Tanten handgeflochten, und weil der Baum eben Plastik ist, kommen noch ein paar Plastiktannenzapfen dran.

Gerne gestehe ich zu, daß das Vorteile hat, und gemütlich ist es trotzdem (gerade nach drei Glas Jagertee). Der Baum nadelt nicht, die Kerzen müssen nicht ständig ausgetauscht und wegen der Brandgefahr überwacht werden, der wenig dekorative Wassereimer zum Sofortlöschen entfällt, und die Tanten freuen sich. Dennoch: Sex, Drugs and Rock’n Roll gibt es nur für Naturkerzler. Ich will nicht sagen, daß für Elektrokerzler allein Tofu, Rheumakissen und Helmut Lotti auf dem Programm stehen (die haben auch ihre Vorteile, auch wenn ich das – zunehmend weniger glaubhaft – leugne), aber das Feeling ist vom Gefühl her anders.

Das alles ist natürlich unmittelbar auf Borussia anwendbar. Elektrokerzler lieben das gesicherte Mittelfeld, Abstiegskampf (oder Kampf um die oberen Plätze, aber das wäre hier „Thema verfehlt“) ist hingegen etwas für Naturkerzler. Und trotzdem lieben wir zwar den Kitzel des Abstiegskampfs, wollen aber eigentlich nicht in ihn verwickelt sein. Zwar stehen wir wie nahezu immer vor Weihnachten (es sei denn, wir haben gerade einen Abstieg hinter uns) gesichert am Hintern der Tabelle, doch im Kerzenschein flackert die Hoffnung, daß wir vielleicht doch so viele Punkte holen, daß wir mit Optimismus in die Rückrunde gehen dürfen. Das könnte schon am Wochenende so sein: Sieg gegen Cottbus, tags darauf der erste Advent und als Zugabe noch zwei Sahnespielchen plus eine Mannschaftswallfahrt zu Monty Python’s Brian, das hat was.

Lieber Maik, ich würde es Martin gegenüber nie erwähnen, denn ihm gegenüber hänge ich immer den toughen Revoluzzer raus (er braucht das), doch Dir kann ich es anvertrauen: Ich bin ja wieder etwas milder gestimmt und daher optimistisch. Borussias Grundproblem bleibt zwar, daß es im Sturm zu viele Elektrokerzler und in der Abwehr zu viele Naturkerzler gibt, während es in einer guten Mannschaft umgekehrt sein muß: vorne Sex, Drugs und Rock’n Roll, hinten Tofu, Rheumakissen und Helmut Lotti (oder gleichermaßen: vorne Dahlin, hinten Andersson, nicht umgekehrt). Auch ist die Mannschaft häufig noch reichlich unbedarft, und warum sie stets erst im fortgeschrittenen Spielverlauf erkennt, was sie kann, bleibt mir rätselhaft, dürfte sich aber durch Verunsicherung und mangelnde Erfahrung erklären lassen.

Das Wichtigste aber ist: Es sieht wieder nach Fußball aus. Hans Meyer tut das einzig Richtige, er läßt ohne große Veränderungen eine Mannschaft zu sich finden, und man merkt in den letzten Spielen zunehmend, daß das Verständnis unter den Spielern zunimmt und jeder mehr und mehr seinen richtigen Platz findet. Ich war ja selbst nach der Niederlage auf Schalke ungemein milde gestimmt, weil zwar die Gegentore auf strunzdoofes Verhalten zurückgingen, ansonsten aber durchaus ein wettbewerbsfähiges Team auf dem Platz stand (und ich wurde die ganze Woche im Büro auf die eine Aktion Marko Marins angesprochen, als er dem Neuer das Ding aus spitzem Winkel fast um die Ohren gedonnert hätte, so ganz lässig: fantastisch!). Das einzige, was mich daher derzeit bekümmert, ist die Tatsache, daß unser nächster Gegner ausgerechnet Cottbus heißt. Ich glaube in diesem Spiel nicht unbedingt daran, daß wir den spielerischen Aufwärtstrend fortsetzen, weil der Gegner einfach zu graupig ist, doch wünsche ich mir von unseren Fans, daß sie gerade in diesem Spiel zur Mannschaft stehen: Die Punkte müssen her, egal wie, glänzen kann man dann wieder gegen Leverkusen und Dortmund.

Laß mich somit versöhnlich enden, lieber Maik: Wir machen es dieses Wochenende so, wie Osnabrück es neulich vorgemacht hat, als Dein VfL den Trainer von Rostock entlassen hat. Wir entlassen jetzt den Trainer von Cottbus. Es grüßt Dich, eine neue offene Stelle für das Arbeitsamt Cottbus ankündigend,

Dein Joachim

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