Wie jede Woche haben wir uns auch diese Woche mit den lieben Kollegen von Seitenwahl einen unserer Brand-, Schmäh- oder Liebesbriefe geschrieben. Martin kennt den wankelmütigen Joachim gut genug um ihn vor zu viel Harmonie zu warnen – natürlich auf Seitenwahl. Joachim kontert mit einem Blümchentext, der doch voller Kampfesmut strotzt.
Lieber Martin,
zehn SEITENwechsel mit Dir, und schon kannst Du perfekt vorhersagen, wie ich reagiere werde: Respekt! Ich hatte mir tatsächlich überlegt, jetzt gleich wieder einzuknicken und ein süßliches Gehölz zu raspeln, so nach Art von: Sie können es doch, laßt sie nur mal weiter in Ruhe zu sich finden, das wird schon wieder. „Nein!“ rufst Du und grätschst mich ab, „die Revolution muß weitergehen!“ Recht hast Du. Gut, daß Revolutionäre, Internet-Guerilleros, Anti-Schäubles wie wir immer in Gruppen auftreten (genauso wie Soldaten, Polizisten oder Terroristen, die soziologischen Strukturen sind überall sehr ähnlich): Wenn einer schlapp macht, schreiten die anderen ein und sorgen für etwas Motivation, indem sie an die gemeinsame Sache erinnern oder auch mal einen Klaps auf den Hinterkopf austeilen.
Tatsächlich ist nichts gewonnen: Nun kommen noch fünf Spiele, und nur gegen Cottbus zu Hause sieht es auf dem Papier „leicht“ aus (wenn man nicht drei Elfmeter verursacht). Einzig im Ruhrpott können sie etwas entspannter sein, weil sie selbst zum Rechnen zu doof sind; so zitiert der Montags-„kicker“ Bochums Zdebel mit den Worten: „Aus den sieben Spielen bis zur Winterpause brauchen wir noch mindestens drei Siege.“ Nun, alle anderen Teams haben nur noch fünf Spiele bis Weihnachten, da wird das enger mit den neun Punkten. Und deshalb müssen weiterhin Punkte her, auch gegen die vermeintlich schwereren Gegner, ansonsten stehen wir unter dem Weihnachtsbaum mit vierzehn oder fünfzehn Zählern da, und es wird ungemütlich.
Ich bin zwar gegen die Bayern keineswegs pessimistisch, möchte aber hier heute nicht weiter damit drohen, Pferde von der Weide zu entführen, Maulwürfe in den Borussia-Park umzusiedeln oder mich an meinem Fanschal vor dem Eingang der Geschäftsstelle anzuketten und tausend IKEA-Windlichter anzuzünden. Ich warte vielmehr ab, was am Samstag von Borussia selbst kommt, also freiwillig. Liebt mich Borussia noch, so daß es auch ohne Wutausbrüche, Theater und Drohungen geht, oder ist die Beziehung ernsthaft gefährdet? Ich vergleiche das mal mit einer langjährigen, etwas eingeschliffenen Ehe. Sie sagt zu ihm; „Du hast mir schon lange keine Blumen mehr geschenkt.“ Er ist sich zwar nicht sicher, daß ein Jahr „lange“ ist, erkennt aber den Unterton in ihrer Stimme und geht am nächsten Tag nach Büroschluß zum Blumenladen. Zufrieden mit sich kehrt er mit zehn weißen Astern zurück, etwas anderes gab es um diese Uhrzeit nicht mehr. Sie registriert natürlich innerhalb von einer Millisekunde, daß man erstens keine geraden Stückzahlen verschenkt, zweitens seiner Liebsten keine weißen Blumen mitbringt, drittens vor allem keine Astern (sie haßt Astern, deswegen stellt sie zu Allerseelen immer Tante Elfriede welche aufs Grab), und viertens schon gar nicht auf Zuruf. Trotzdem zeigt sie sich überrascht und erfreut, weil sie sich denkt, er hat mir wenigstens zugehört, das ist für einen Mann nicht selbstverständlich.
Ist die Ehe nun in stabilerem Fahrwasser? Ich kenne viele Männer, die an dieser Stelle „ja“ sagen würden, doch das ist natürlich falsch. Wenn sie jetzt wieder ein Jahr darauf warten muß, daß er ihr eine Freude macht, und dann erneut erst von sich aus etwas sagen muß, dann wird die Lage ernst. Sehr ernst. Wenn er aber in sich geht und sie in nächster Zeit mit etwas Unerwartetem überrascht (und, liebe Männer, es ist egal, was das ist, Hauptsache, es macht ein winziges bißchen Mühe und ist mit ein klein wenig Nachdenken verbunden), dann brechen bessere Zeiten an.
So ist das auch hier. Vor Bielefeld mußte der SEITENwechsel als Polterforum herhalten. Daß Borussia siegt, war nicht unerwartet; wenn gar nichts mehr geht, sind wir traditionell immer schon nach Bielefeld gefahren und haben da gewonnen. Nun möchte ich mal überrascht werden, und zwar positiv. Gerne schon am Samstag, spätestens in der Woche darauf. Dann zeige ich mich auch wieder charmant.
Ach ja, lieber Martin, Du fordertest mich auf, in Deinem Text drei abgegriffene Redewendungen zu finden. Im Zusammenhang mit Borussia kommt mir da erstens in den Sinn, daß Du auf „Punkte“ verweist, zweitens redest Du von „Punkten“, und drittens erwähnst Du sogenannte „Punkte“. Das ist wirklich angegriffen. Wir lieben Borussia doch nicht wegen „Punkten“. Natürlich brauchen wir welche, aber wir lieben Borussia für Offensivfußball, Drama, glorreiche Schlachten. Die habe wir zwar seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen, aber wir Alten erinnern uns doch noch!?
Sich fragend, was Peer Steinbrück am Samstag in Bielefeld in seinem Becher hatte (Kamillentee?), grüßt Dich mit einem virtuellen Fleurop-Strauß
Dein Joachim
Donnerstag, 13. November 2008
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