Mittwoch, 17. März 2010

seitenwechsel #108

In dieser Saison der Aufs und Abs ist das einzig Konstante der wöchentliche Seitenwechsel mit unseren lieben Kollegen von Seitenwahl. In dieser Woche droht Joachim endlich den lang ersehnten Wutausbruch an, kanzelt aber nebenbei auch schon jetzt ein paar Underperformer gehörig ab. Martin steckt noch im Umzugsstress und streitet sich mit Kölnfans - nachzulesen wie immer bei Seitenwahl.

Lieber Martin,

Kredit, so lautet eines der derzeit wichtigsten Wörter, und ich rede keineswegs von den Nachwehen der Finanz- und Wirtschaftskrise. Nein, Kredit ist das, was Borussias Fans derzeit ihrer Mannschaft in kaum gekanntem Maße bereitstellen, zumindest wenn man das letzte Jahrzehnt betrachtet. Es war vielleicht der zivilisatorische Höhepunkt des Spieles gegen Wolfsburg, als sich der durchgefrorene Besucher Mitte der zweiten Halbzeit zu fragen begann, wann denn die Pfiffe mehr werden würden, stattdessen aber, gut zehn Minuten vor dem Abpfiff, seit den Anfangsminuten nicht mehr gehörte Anfeuerung einsetzte, die bis zum Schlußpfiff andauerte. Noch Minuten nach Spielende setzte sich die Ermunterung der Mannschaft seitens Teilen der Nordkurve fort, und irgendwann meinte vor mir ein Ordner zum anderen: "Man sollte denen mal sagen, daß es keine Verlängerung gibt."

Falsch. Verlängerung für die Mannschaft gibt es präzise bis zum nächsten Wochenende, wenn das Spiel in Köln ansteht. Denn man sollte sich nicht irren: Die Anfeuerung der Fans war nicht Einsicht in das untaugliche Bemühen der Mannschaft, denn die hätte noch Stunden weiterspielen können, ohne einen Treffer zu erzielen. Tatsächlich hatte sie es noch bei 0:4 mit Mann und Macht versucht und war dabei mehrmals in gefährliche Konter gelaufen, eigentlich ein Unding, wenn das Spiel entschieden ist und es nur noch um Schadensbegrenzung geht. Nein, die Fans richteten ihr Team vielmehr deshalb auf, weil man die Spieler braucht, um beim Erzfeind am Freitag nicht die nächste Pleite zu erleben. Schließlich gehört auch der Niederrhein zum Rheinland, und da kann bekanntlich manche Schmach schnell vergessen werden, wenn am richtigen Tag nur eine gute Nachricht steht.

Lieber Martin, laß uns nicht um den heißen Brei herumreden und die Ausflüchte verwenden, in die sich Borussias sportliche Führung nun unsinnigerweise flüchtet: Bis auf den Tobias Levels und mit Abstrichen Logan Bailly spielte jeder unter seinem Niveau, und wenn nicht gerade eine bislang undiagnostizierte Muskelschwäche grassiert, geht das auf einen Mangel an Einstellung zurück. Wie oft vermißte man gegen keineswegs starke Wolfsburger den einfache Ball und sah stattdessen Zirkusnummer vom allerbilligsten. Wie dumm müssen Zuschauer sein, wenn sie bei Bobadillas tapsiger Balljonglier-Nummer Mitte der ersten Halbzeit, als er fünf-, sechsmal das Spielgerät auf dem Kopf balancierte, Beifall klatschen, obwohl wenn die Aktion mit dem Ballverlust endet? Das ist eben der Unterschied zwischen einem Jahrmarktboxer und einem wahrem Champion: Letzterer hat es drauf, ersterer ist eine Nullnummer. Ich könnte hier auch Arango, Colautti, gar Reus oder vor allem Dante sagen: Wo sie mit dem Kopf waren, bleibt ihr Geheimnis, auf dem Platz jedenfalls nicht.

Wie Du weißt, bin ich ein großer Freund fußballerischer Basisdemokratie und nehme interessiert zur Kenntnis, daß derzeit etwa manch Berliner Fan mehr Herzblut zeigt als der ganze verluderte Haufen, der für die Misere seines Vereins verantwortlich ist, in einer ganzen Spielzeit. Doch nein, ich mäßige mich, denn natürlich ist unsere derzeitige Geduld richtig. Das Saisonziel ist nach wie vor ohne Abstriche erreichbar, und Rückschläge sind verzeihlich, wenn danach die entsprechende Reaktion kommt. Ebenso steht aber fest, daß dieser Zeitpunkt das Spiel in Köln ist. Verliert Borussia mit einer ähnlichen Nicht-Leistung wie zuletzt, schlägt die Stimmung schnell um, denn eines sollte man nicht vergessen: Wir haben zwar diese Saison einiges erreicht, aber fast genauso viel wieder hergeschenkt. Man muß halt Chancen nutzen können, wenn sie sich ergeben, sonst bleibt man dauerhaft in Regionen stecken, wo man sich eigentlich nicht zugehörig wähnt.

Daher rate ich Dir, lieber Martin, mach es Dir auf Deinen Umzugskartons bequem, köpfe eine Bouteille Roten, genieße eine Magnumpackung belgischer Pralinen und freue Dich auf das anstehende Spiel. So viel Vertrauen muß sein, daß wir frohgemut Besserung erwarten können und den Scheißbock in die Tonne kloppen. Wenn nicht, gebe ich hier nächste Woche das HB-Männchen – da wartest Du doch schon die ganze Spielzeit drauf!

Es grüßt Dich ein Loch am Heumarkt buddelnd und darin das Vereinsarchiv des ÄffZeh ersäufend

Dein Joachim

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