Freitag, 22. Mai 2009

seitenwechsel #85

Bald ist alles vorbei. Sei's drum: Unterhaching gegen Gladbach und Osnabrück gegen den 1. FC Heidenheim sind doch spannende Duelle. Bis es soweit ist, trösten wir unverbesserlichen Pessimisten uns mit dem wöchentlichen Seitenwechsel: Zum 85. Mal spielen wir schicke Kurzpässe und lange Flanken mit den lieben Kollegen von Seitenwahl. Joachim legt vor und macht sich heuer in Chemitz auf die Suche nach der Blauen Mauritius. Martin antwortet und orakelt bei Seitenwahl über das Leistungsprofil von 19jährigen Publizistikstudentinnen.

Lieber Maik, lieber Martin,

die Saison neigt sich dem Ende zu, und mit den Nerven steht es nicht zum besten. So auch beim SEITENwechsel, zumindest schließe ich das aus der Tatsache, daß Ihr Euch noch nicht festlegen konntet, wer denn nun auf diesen Brief antworten muß und somit für kostbare Minuten aus der geistigen Vorbereitung auf den letzten Spieltag gerissen wird. Dabei könnte alles so viel einfacher sein, etwa mit dem Beharren auf ein gepflegtes Phlegma.

Die ganze Spielzeit habe ich – mit wenigen umnachteten Aussetzern – darauf beharrt, daß wir die Klasse halten, und wo stehen wir derzeit? Eben! Irgendwie habe ich nach wie vor nicht im mindesten das Gefühl, wir könnten doch noch absteigen. Ich weiß, daß ich mich da furchtbar irren kann, aber das Gefühl ist nun mal da. Mit Grausen erinnere ich mich noch an 2001, als wir vor dem letzten Spiel gegen die bereits abgestiegenen Chemnitzer drei Punkte und so etwa zehn Tore Vorsprung auf Platz vier in der Zweiten Liga hatten und ich trotzdem die ganze Woche vor dem Spiel völlig fertig war, weil ich dachte, das kann trotzdem noch schiefgehen. Nun ist die Gefahr, daß es schiefgeht, objektiv deutlich größer, und dennoch bin ich die Ruhe selbst. Warum, weiß ich nicht, aber ich denke, daß das letztlich so ist wie bei Bergsteigern: je mehr Erfahrung Du hast und je weiter Du hinauf willst, desto höher werden die objektiven Risiken, aber das läßt sich durch Reduktion der subjektiven Risiken kompensieren. Einfacher ausgedrückt: Wir haben schon so viel Schlimmes mit Borussia mitgemacht, daß uns die derzeitige Situation nicht stressen kann.

Wenn Hans Meyer dies liest, würde er mich vermutlich für ahnungslos, wenn nicht gemeingefährlich irre erklären, aber da sage ich nur: Hinterher kann ich mich ja immer noch ärgern. Wozu die Feiertagsfreude verhageln lassen? Deswegen, lieber Maik/Martin, lautet die Devise: Wer ist Dortmund? Sollen sie sich die ganze Woche auf ihrem Trainingsgelände einschließen, wir werfen ihnen hier und heute entgegen: Gebt die Punkte schon mal her. Ich fange hier gar nicht von Unentschieden an, denn wie Felix Magath (auf oder in der Nähe des Münchner Rathausbalkons) richtigerweise sagte: Wir können gar nicht auf ein Unentschieden spielen (nicht, daß wir auf irgendwas spielen könnten, geschweige denn einem Bierdeckel, aber es klingt gut, und wer weiß, vielleicht stimmt es ja auch – obwohl so eine Relegation gegen Nürnberg natürlich ihren Charme hätte).

Sehr positiv habe ich übrigens diese Woche beim VfLog zur Kenntnis genommen, daß die üblichen Attacken gegen meinen Heimatverein TuS Koblenz unterblieben sind. Es hat zwar gedauert, aber irgendwann hat sich selbst Euer Osnabrücker Sportdirektor – oder watt datt da is – zu Wort gemeldet und auf einen Einspruch gegen die Spielwertung gegen St. Pauli verzichtet, unbeleckt von der Erkenntnis, daß er sowieso kein Einspruchsrecht gehabt hätte. Ich frage ja auch bei jedem Spiel, das ich sehe, vor Anpfiff nach dem Bogen mit den Mannschaftsaufstellungen und wundere mich in den Amateurligen (also Zweite Liga und tiefer) häufig, wer dieses Gekritzel eigentlich fabriziert hat und wer das lesen soll. Um so schöner ist es, jetzt zu wissen, daß das wie bei Briefmarken ist: Von derselben Art sind mehrere in Umlauf, und manche weisen Fehler auf, die fast so teuer werden können wie die Blaue Mauritius. Hauptsache, nach dem 34. Spieltag sind keine fehlerhaften Tabellen in Umlauf, sondern nur korrekte, die zudem unsere Vereine oberhalb des imaginären Strichs ausweisen!

Ich selbst werde das erst später überprüfen können, denn das Wochenende wird stressig für mich. Ich möchte in so vielen Stadien wie möglich anwesend sein, denn nie wieder habe ich derartige Chancen, den Cheftrainerposten eines Profivereins angetragen zu bekommen. Neulich machten wir hier Witze über die Anstellung von Jupp Heynckes, und wir dachten, vielleicht wird ja gar in der Halbzeitpause des letzten Spieltags noch jemand gefeuert. Bielefeld ist inzwischen weit auf diesem Weg fortgeschritten und hat tatsächlich nach dem 33. Spieltag – grundlos, wie sie selber wissen – den Trainer entlassen. Das läßt auf mehr hoffen. Das Prinzip kann somit für Samstag und Sonntag nur lauten, sich möglichst nahe an möglichst vielen Präsidenten möglichst angeschlagener Vereine aufzuhalten, und schwupps sitzt Du auf der Bank. Bist Du dann noch in Bayern, ist die Chance als (Ex-)Borusse noch wesentlich höher: Nach Heynckes und Köppel haben sie doch glatt noch Lienen dort untergebracht. Samstag bei den Bayern, Sonntag in Nürnberg (wenn die nach 45 Minuten Platz 2 zu verpassen drohen, eieiei, da ist das Saisonziel Aufstieg in Gefahr…), ich denke, ich weiß, wo ich hin muß. Abends siehst Du mich dann im Fernsehen, nachdem ich den Erfolg eingewechselt habe. Ich muß bis dahin nur herausfinden, welche Rückennummer dieser Erfolg hat – und ob er auf wenigstens einem der parallel kursierenden Aufstellungsbögen steht…

Es grüßt Dich das Ziel fest im Auge und jeden berechtigten Zweifel kujonierend

Dein Joachim

2 Kommentare:

Maik hat gesagt…

Lieber Joachim,

VfL-Sportdirektor Lothar Gans, schreibst du, habe auf einen Einspruch gegen die Wertung des Spiels Koblenz gegen St. Pauli verzichtet, und zwar "unbeleckt von der Erkenntnis", dass er gar nichts hätte ändern können.
Das ist fast richtig. Er hat verzichtet, aber durchaus beleckt: "So eine Presseerklärung [wie die des FSV Frankfurt] können wir auch rausgeben, doch Tatsache ist: Einspruchsberechtigt sind die beteiligten Vereine, kein dritter Klub. Die Frankfurter haben auf etwas verzichtet, was sie gar nicht hätten tun können."

Quelle: http://www.neue-oz.de/_vfl_osnabrueck/
content_vfl_startseite/news_vfl/20090519_gans.html

Joachim Schwerin hat gesagt…

Lieber Maik,

da sieht man, daß man immer den Originaltext lesen muß und keine verkürzte Version, die irgendwo im Internet herumfliegt. Danke für die Klarstellung und Respket für Lothar Gans, daß er gleich noch die korrekte Begründung mitgeliefert hat.

Beste Grüße,

Joachim