Freitag, 8. Mai 2009

seitenwechsel #83

Wenn es eng wird, braucht man gute Freunde, und auf die Jungs von Seitenwahl ist Verlass. Zum 83. Mal spielen wir schicke Kurzpässe und lange Flanken hin und her. Im Mittelpunkt steht dabei die Lage der Nation, d.h. der VfLs. Joachim hat offenkundig eine Menge bewusstseinserweiternde Drogen genommen und peilt entsprechend selbstsicher für die nächste Erstligasaison. Martin hat die Talfahrt in der Teballe schon krank gemacht. Trotzdem antwortet er trotzig bei Seitenwahl.

Lieber Martin,

wenn ich auf dem Weg ins Büro vom Bahnhof zur U-Bahn-Station gehe, komme ich durch einen Tunnel, in dem sich üblicherweise Heerscharen von Straßenmusikanten aufhalten. Die resultierende Kakophonie ist Folter pur. Eine Portugiesin schmettert Fado, was sich noch gut anhört, wenn sie nicht gerade unmotiviert ist. Verschiedene Balkanvölker bringen ihre nationalen Bräuche dar, was sich bei Abständen unter zehn Metern zwischen den diversen Kombos als nervenaufreibend erweist. Jimi Hendrix ist ebenso anwesend wie Bob Marley, was an sich schon eine Leistung ist, hielt ich doch beide bislang für tot. Eine einzelne Dame kann überhaupt nicht singen, meint aber, mehr tun zu müssen als einfach die Hand aufzuhalten, weswegen sie ununterbrochen Lalala vor sich hin trällert. Daß ein erlesener Teil des nichtseßhaften Publikums zu all dem diverse Tänze aufführt, steigert den Reiz des Ganzen ungemein. Es bestärkt mich zudem in meiner Meinung, nicht ich sollte für diese Darbietungen Geld bezahlen, sondern ich sollte selbst einen Pappbecher für milde Gaben vor mir hertragen, schließlich handelt es sich um das, was Ökonomen negative externe Effekte nennen.

Manchmal, lieber Martin, denke ich an Hans Meyer, wenn ich durch diesen Tunnel gehe. Er findet bei Trainingseinheiten ein ähnliches Sammelsurium aus hoffnungsvollen Talenten, ambitionierten Amateuren, verhinderten Künstlern, Stehgeigern und gescheiterten Existenzen vor und muß doch jedes Wochenende eine tourneereife Konzerttruppe aufstellen. Allein dafür gebührt ihm Anerkennung. Gleichzeitig gestehe ich ihm zu, daß er es bislang weitgehend geschafft hat, elf Einzelkünstler zu finden, die einigermaßen sinnhaft ein untereinander vergleichbares Niveau halten. Das Problem der letzten Spiele war freilich, daß es eher ein unterirdisches Niveau (eher U-Bahn als Bahnhof, geschweige denn Flughafen) war, worüber auch der ungemeine Erfolg nicht hinwegtäuscht, daß wir bei den Bayern nicht die Sporting-Sieben eingeschenkt bekommen haben. Gegen Schalke und in Cottbus steht uns nun eine Konzertserie innerhalb weniger Tage bevor, für die wir nur auf mehr Inspiration hoffen können. Das Erfolgsrezept ist dabei nicht, daß jeder für sich seiner Kunst nachgeht, sondern daß eine geschlossene Mannschaft auftritt – und daß das Publikum zur Not auch mal ruhig abwartet, ohne bereits nach zehn Minuten zu pfeifen.

Noch tröstlicher ist freilich etwas anderes: Die anderen singen und musizieren auch nicht besser (nur sehen wir sie eben nicht jeden Tag, deswegen fällt das nicht so auf). Von interessierter Seite wurde uns ja bislang oftmals eingeredet, unser Restprogramm sei besonders schwer. Absolut betrachtet mag das korrekt sein; letztlich: Was ist für uns derzeit nicht schwer? Relativ gesehen vermag ich aber bei den Aufgaben, denen sich unsere Kunstbanausen-Kollegen im Abstiegskampf gegenübersehen, nichts erkennen, was einfacher ist. Anders ausgedrückt muß man nicht auf Ausrutscher der anderen hoffen, wenn man selbst noch alles in der Hand hat und die Hürden der Konkurrenz ähnlich hoch sind. Zudem dürfen wir dieses Wochenende nachlegen, und wenn alles normal läuft (das ist ein dickes „wenn“, zugegebenermaßen), dann steht uns am Sontag ein netter Spannungsbogen bevor, zumindest bis in den Abend hinein.

Somit, lieber Martin, pack deine Klampfe, sing uns ein fröhlich Lied von drei Punkten und Rotkäppchen-Sekt, und wenn ich mir endlich ein Schachbrett gekauft oder meine Skizze erneuert habe, spielen wir auch wieder Schach. Bis dahin singen wir, und wenn es nur auf dem Sofa zu Hause ist!

Es grüßt Dich, fernöstlich inspiriert (womit ich nicht Cottbus meine), nach Langem Marsch letztmals vor dem Großen Sprung in der Tabelle
Dein Joachim

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