Samstag, 29. September 2007

3:1 in 55 minuten

Wenn die Fahrtzeit von Hamburg nach Osnabrück staubedingt knapp vier Stunden dauert, dann ist absehbar, dass ein pünktliches Erscheinen im Stadion ein Deut zu ambitioniert ist. Anpfiff an der Bremer Brücke war trotz schlechten Wetters und einer Menge Zuschauer pünktlich um 18 Uhr.

Ich erinnere mich an ein denkwürdiges 1:0 in Osnabrück vor vielen Jahren; das Tor fiel vielleicht in der vierten oder fünften Minute und damit ungefähr fünf Minuten, bevor ich im Stadion war. Es sollte das Tor des Tages bleiben.

Mittlerweile gibt es den VfLog, und dass der Fußballgott es wirklich gut mit uns meint, hat er gestern ein weiteres Mal bewiesen. Schnellen Schrittes eilte ich zum Stadion, hörte laut aufbrausende Emotionen, die sich erst anhörten wie ein Treffer, sich später aber als Rote Karte für St. Paulis Thomas Meggle erwiesen. Eine gute halbe Stunde nach Anpfiff endlich, um 19:35 Uhr, erklomm ich die Treppen zur Tribüne. Weniger als 20 Sekunden später traf Thomas Cichon nach schönem Spielzug zum 1:0 für Osnabrück.

Der traurigste Moment dieses ansonsten rassigen, mitreißenden Spiels war da schon lange Vergangenheit. Osnabrücks Neuzugang und rechter Verteidiger, der 19-jährige Assimiou Touré, war bereits mit einem Schien- und Wadenbeinbruch vom Platz getragen worden. Eine schauerliche Verletzung, weil es sich nicht angenehm anfühlt, wenn der Fuß allein von Bändern und Sehnen gehalten am Bein baumelt und zugleich alle umstehenden und gutmeinenden Helfer weismachen wollen, es müsse nicht so schlimm sein, man selbst doch aber sofort merkt: Das ist gebrochen, und zwar richtig. Touré ist nach Pierre de Wit (Kreuzbandriss) der zweite Youngster, der nach wenigen äußerst vielversprechenden Auftritten im VfL-Trikot nun für mindestens sechs Monate pausieren muss. Der Übeltäter, der Touré gefoult hatte, Ian Joy, war schon in der Halbzeit zu Pele Wollitz in die VfL-Kabine gegangen, hat sich entschuldigt und versichert, das sei keine Absicht gewesen. "Eine große Geste", so Wollitz. Auch St. Pauli-Coach André Trulsen bedaurte die schlimmen Folgen dieses Fouls: "Das tut mir leid!"

Anschließend war das Spiel aggressiv und die Stimmung aufgeheizt. Der VfL ging mit einem verdienten 1:0 in die Halbzeit, hörte danach jedoch leider auf, Fußball zu spielen. Das Spiel verflachte, ohne dass Osnabrück allerdings zu einer besonderen Souveränität gefunden hätte. Irgendwann fiel das 2:0 durch Rouwen Hennings, das wieder schön rausgespielt war. Endlich einmal aus dem Mittelfeld schnell und über außen nach vorn gespielt, geriet St. Paulis Hintermannschaft unter Druck. Über links hatte sich Andreas Schäfer durchgesetzt, flankte scharf vor das Tor, doch seine Hereingabe fand vorerst keinen Abnehmer. Doch dann ging's auf rechts weiter: Erneute Flanke, Reichenberger in der Mitte beweist Überblick und lässt den Ball zu Hennings durch, der vor dieser Saison auch in längeren Verhandlungen mit St. Pauli steckte, und Hennings macht dann sein erstes Tor für den VfL.

Noch während des Torjubels gibt Claus-Dieter Wollitz an der Seitenlinie Matthias Heidrich Instruktionen, damit seine Mannschaft nicht den gleichen Fehler wie nach dem 1:0 macht. Der Versuch ist ehrenwert, allein er bleibt vergebens. Wieder stellt der VfL sein druckvolles Spiel an, agiert passiv und scheint den Vorsprung eher verwalten denn ausbauen zu wollen. "Das ist immer das gleiche. Wir führen, und die Spieler freuen sich nur noch auf's Wochenende. Ich sehe da nur noch Zufriedenheit. Wir gehen da viel zu fahrlässig mit um. Die haben das Gefühl, das Ding ist durch. Irgendwann geht das nach hinten los. Das müssen wir dringend abstellen", so Wollitz mahnend. Abstellen helfen sollte das auf Platz Alex Nouri. Ihn dirigierte Wollitz hinter die Spitzen, Frommer verließ das Feld, und VfL-Legende Jo Enochs besetzte neben Heidrich eine der beiden Sechser-Positionen. Doch Osnabrück schaffte es nicht, den Schalter wieder auf Aktion umzulegen.

Irgendwann in diesen Minuten schallte aus dem St. Pauli-Fanblock, der wie gewohnt zu einer phantastischen Stimmung seinen guten Teil beitrug, ein trotziges "Ohne Pauli wärt ihr gar nicht hier!" Die Sitzplatztribüne erhob sich applaudierend von den Plätzen, und das ganze Stadion stimmte mit einer Portion Dank zu: "Ohne Pauli wär'n wir gar nicht hier!"

St. Pauli blieb, obwohl in Unterzahl, gerade durch Standards immer gefährlich. Zwar ergaben sich dadurch auch gute Konterchancen für Lila-Weiß, doch trotzdem markierte Sako irgendwie absehbar den Anschlusstreffer. Als es dann wieder spannend zu werden drohte, rappelte sich der VfL doch noch auf. Ein schöner Spielzug führte zu einer Drei-gegen-Eins-Überzahl, die zu einem schönen letzten Tor hätte genutzt werden können. Das Tor gelang zwar, doch eher auf stümperhafte Weise. Immerhin.

Am Schluss beim obligatorischen Siegfeiern war sogar Trainer Wollitz mit in die Kurve gegangen. Das ist eher selten und zeugt vielleicht davon, wie wichtig dieser Sieg und die Unterstützung durch das Publikum ist. Wollitz lag sich demonstrativ mit Nico Frommer in den Armen, der von vielen Fans noch immer nicht bedingungslos für tauglich befunden wird. "Den will ich unbedingt aufbauen, der muss Vertrauen spüren. Die Saison ist lang, und ich weiß, dass irgendwann im Abstiegskampf die Spiele kommen, wo wir ihn brauchen: Am Ende der Saison nämlich. Bis dahin soll er ein Führungsspieler werden", so Wollitz.

Mit dem Sieg ist Osnabrück in der Tabelle endlich an St. Pauli vorbeigezogen. Elf Punkte aus acht Spielen sind ok. Ein guter Auftritt nächste Woche auswärts in Kaiserslautern wäre endlich einmal an der Zeit. Und besonders Assimiou Touré hätte es gefreut, wenn auch für ihn das Spiel erst in der 35. Minute begonnen hätte.

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